Einige Blätter schießen gerade wieder scharf gegen die Öffentlich-Rechtlichen. Da wird es Zeit, Farbe zu bekennen. Ein Plädoyer von dem StZ-Kulturchef Tim Schleider.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Eine Feststellung vorweg: Nein, hier wird jetzt nicht grundsätzlich alles verteidigt, was Tag für Tag in unseren öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen zu sehen ist. Es ist überhaupt nicht alles gut, was ARD und ZDF mit den Rundfunkgebühren anstellen, die ihnen beinahe wie von selbst zufließen – und übrigens sprechen wir hier von einer Summe von über 7,5 Milliarden Euro im Jahr. Es gibt da vieles zu kritisieren und in Frage zu stellen. Unter anderem auf seiner Medienseite tut das die StZ regelmäßig, und wie eine solche Fernsehkritik auch heute just unter diesem Artikel von unserer Kolumnistin Sybille Simon-Zülch betrieben wird, das ist unserer Meinung nach beispielhaft.

 

In einigen Blättern – und in den Netzforen sowieso – formiert sich aber gerade eine Fundamentalopposition gegen die Öffentlich-Rechtlichen, die einen schon wieder höchst misstrauisch stimmen muss. Sicher hängt das auch mit der Neuordnung der Rundfunkbeiträge zusammen. „Ist das noch unser Fernsehen?“, fragte jüngst die „Zeit“ umfänglich und bemängelte „die Mutlosigkeit“ der Sender. Einige Tage später nahm die „Welt“ die Idee dankbar auf: Die ewige Quotenversessenheit im Ersten und Zweiten, dazu die Flut an Kochshows und der eklatante Mangel an aufregenden Serien rechtfertige eigentlich nur noch einen Schluss – ARD und ZDF seien nicht mehr zu retten; Deutschland brauche dringend einen „öffentlich-rechtlichen Qualitätskanal“. Derweil heißt es in einem Internet-Debattenforum von Yahoo: „Vor zwanzig Jahren haben ARD und ZDF noch ein interessantes Programm. Das Programm heute ist der letzte Müll und es gibt nur noch Talkshows. Warum soll ich ein so schlechtes Programm mit GEZ-Gebühren unterstützen?“

Auch die Kritik sollte ihr Niveau nicht unterschreiten

Angesichts solcher Feststellungen wird es Zeit für eine Gegenrede. Sie beginnt mit der Forderung: Auch die Kritik am öffentlich-rechtlichen Fernsehen sollte nicht ganz unter ihren Möglichkeiten bleiben.

Ist es in puncto TV-Debatte nicht einfach so: Wenn man möglichst viele Menschen fragt, ob das Programm von ARD und ZDF gut oder schlecht sei, sind sich die Allermeisten über die Schlechtigkeit des Gesendeten einig – woraus dann sogleich stillschweigend geschlossen wird, dass ARD und ZDF nicht länger „unser Fernsehen“ sein könne, weil dazu ihre Programme selbstredend gut sein müssten.

Doch so einig wir uns in der Kritik an der Programmqualität sind, im Detail meinen wir frappierenderweise stets völlig verschiedene Dinge. Der Autor dieses Artikels beispielsweise kann im Ersten weder den „Tatort“ ertragen (völlig egal, mit welchem Kommissar) noch die Durcheinander-Rederei oder Wichtigtuerei in den Talkshows. Beim „Tatort“ weiß er aber schon die große Mehrheit der eigenen Kollegen gegen sich, bei den Talkshows gar den „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der im Meer der sonstigen „Risikovermeidung“ im Programm just diese „mutigen“ Sendungen lobt (na ja, er selbst moderiert ja auch eine).

Rezitationen aus der Bundestags-Geschäftsordnung

Die einen hämen, weil das Erste seit sieben Jahren nachmittags die Telenovela „Rote Rosen“ sendet und seit 15 Jahren dienstagabends „In aller Freundschaft“. Aber wenn sich in Deutschland denn so gar niemand finden würde, der davon Folge für Folge einschaltet, würde es „Rote Rosen“ schon seit sechs und „In aller Freundschaft“ seit 14 Jahren nicht mehr geben.

Der Bundestagspräsident Norbert Lammert klagt regelmäßig darüber, dass die Debatten des deutschen Parlamentes nur noch selten im Ersten oder Zweiten zu sehen sind. Gern zählt er bei solchen Gelegenheiten dann auf, dass stattdessen in der ARD „Sturm der Liebe“ und im ZDF „Volle Kanne mit Susanne“ zu sehen war. Welch ein Abgrund! Beifall von allen Rängen. Aber was macht Norbert Lammert eigentlich so zuversichtlich, dass eben jene Zuschauer, die „Sturm der Liebe“ goutieren, noch viel lieber ihm, Lammert, beim Rezitieren aus der Bundestags-Geschäftsordnung beiwohnen würden?

Vereint in der Klage

Und warum sind Lammert und die Kollegen von der „Welt“ so traut vereint im Glauben, jene Zuschauer, die Interesse an anspruchsvollen Debatten, Inszenierungen, Dokumentationen und Spielserien haben, seien unfähig, an ihren Fernsehgeräten die längst bestehenden öffentlich-rechtlichen Qualitätskanäle Arte, Phönix und 3Sat einzuschalten? Dort wird doch Tag um Tag das geboten, was sich vermutlich auch die geschätzten „Zeit“-Kollegen irgendwie unter „gutem“, also „anspruchsvollem“, ihre ganz persönlichen Gebühren rechtfertigendem Fernsehen vorstellen. Wobei man zugleich einfach mal mit einer gewissen demütigen Nüchternheit feststellen muss, dass summa summarum sehr viel weniger Menschen die Programme von Arte, Phönix und 3Sat nutzen als jene beiden Kanäle, die im vergangenen Jahr im Durchschnitt die höchsten Einschaltquoten erzielten, nämlich ZDF und ARD.

Machen wir uns nichts vor: Die meisten von uns sind sich herrlich einig im Klagen über das seichte Fernsehprogramm. Es gibt eine lustvolle Wut auf das ewig schlechte Programm. Wir suhlen uns geradezu in unserem gemeinschaftsstiftenden Lästern über die Abgründe des just gestern Abend wieder Erlittenen. Wobei seltsamerweise gerade die größten Lästerer die Objekte ihrer Abscheu noch im kleinsten Detail kennen. Weil vermutlich auch gestern Abend wieder irgendeine geheimnisvolle Macht sie daran gehindert hat, auf ein anderes Programm zu schalten oder den Stromkreis gleich ganz zu unterbrechen.

Der Geschmacksmaßstab ist höchst subjektiv

Aber wenn es darum geht, festzulegen, was denn stattdessen ein gutes Programm sei, dann wird just dasjenige zum Maßstab genommen, was jeder einzelne von uns höchst subjektiv darunter versteht und was er persönlich gern sehen möchte. Die Fernsehwünsche von 80 Millionen Deutschen sind ein riesiger und völlig unübersichtlicher Gemischtwarenhandel. Und die öffentlich-rechtlichen Sender, die von diesen 80 Millionen Deutschen finanziert werden, müssen diesen Gemischtwarenhandel irgendwie betreiben. Das ist im Prinzip bei den Nachbarn nicht anders. Auch der BBC sendet nicht permanent spektakuläre Dokumentationen, Korrespondentenreportagen aus Kriegsgebieten oder all unsere bisherige Sehgewohnheiten revolutionierende Spielserien. Auch in BBC One laufen tagsüber gern einmal Gartentipps und Liebesschnulzen. Und auch jedem Briten steht frei, sich darüber erhaben zu fühlen.

Nein, es ist nicht alles gut, was ARD und ZDF mit unseren Gebühren anstellen. Dass die ARD einen ebenso schlauen wie populär auftretenden Kopf wie Denis Scheck penetrant im Nachtprogramm versteckt, ist großer Quark. Sagen zumindest diejenigen, die ein Interesse an ebenso schlauen wie populär gemachten Literatursendungen haben. Dass es offenbar weiterhin nirgendwo in diesem Land gelingt, eine Spielserie zu entwickeln, die im Erzählstil mithalten kann mit den Erfolgsserien des amerikanischen Pay-TV-Kanals HBO, stimmt tief traurig. Sagt wenigstens das potenzielle Publikum solcher Serien. Wobei über „Qualität“ just dieses Publikum im Zweifel gern auch untereinander streitet.

Simple Sichtweise

Jüngst war im Wirtschaftsteil einer Tageszeitung von der Hauptversammlung bei Mc Donald’s in Amerika zu lesen. Ein neunjähriges Mädchen hat dort den obersten Mc Donald’s-Boss angeklagt: „Du hast mich mit deinem Essen dick und unbeweglich gemacht.“ Das klingt irgendwie wahnsinnig mutig und aufrüttelnd. Böser Mann! Aber ganz ehrlich: Irgendwie ist uns diese Sichtweise doch zu simpel.