Auf der Hauptversammlung von VW werden Aufsichtsrat und Vorstand auch in diesem Jahr mit kritischen Fragen zum Abgasskandal konfrontiert. Die beiden großen Aktionärsvereinigungen DSW und SdK monieren, dass Aktionäre bisher nur unzureichend über die Hintergründe der Manipulationen informiert worden seien.

Stuttgart - Als Hans Dieter Pötsch auf der vergangenen Hauptversammlung den Aktionären Rede und Antwort stehen musste, schlug dem VW-Aufsichtsratschef eine Welle des Misstrauens entgegen. Vergeblich versuchten Kleinaktionäre gleich zwei Mal, Pötsch als Versammlungsleiter abwählen zu lassen. Er sei der „personifizierte Interessenkonflikt“, kritisierte ein Redner, mache sich zum „Richter in eigener Sache“. Denn Pötsch war 2015, als der Abgasskandal den Autoriesen in die schwerste Krise der Unternehmensgeschichte stürzte, Finanzvorstand. Und damit war er Mitglied jenes Führungsgremiums, dessen Rolle bei den Dieselbetrügereien im Dunkeln liegt. Die Abwahlanträge hatten indes keine Chance auf Erfolg, weil fast 90 Prozent der Stimmrechte in den Händen der Familien Porsche und Piëch, des Landes Niedersachsen sowie des Emirats Katar liegen. Damit sind die Machtverhältnisse klar.

 

Wenn der Aufsichtsratschef am kommenden Mittwoch zum zweiten Mal nach dem Bekanntwerden des Abgasskandals vor die Aktionäre tritt, wird er wieder Zielscheibe scharfer Kritik. Das Unternehmen erwartet wie im Vorjahr rund 3000 Anteilseigner in Hannover. Das Misstrauen wurde seit der letzten Hauptversammlung dadurch verschärft, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig seit dem vergangenen November auch gegen Pötsch ermittelt. Es geht um den Verdacht der Marktmanipulation. Die Ermittler untersuchen, ob Pötsch in seiner Zeit als Finanzvorstand die Öffentlichkeit zu spät über den Abgasskandal in Kenntnis gesetzt und wichtige Informationen für Anleger unterdrückt hat. Ermittlungen in gleicher Sache liefen zuvor bereits gegen den früheren VW-Konzernchef Martin Winterkorn und den VW-Markenchef Herbert Diess. Ein Ende dieser Ermittlungen ist heute nach Angaben der Staatsanwaltschaft Braunschweig nicht abzusehen.

Der Aufsichtsratschef soll sein Amt ruhen lassen, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind

Das Misstrauen gegenüber Pötsch, aber auch den anderen Mitgliedern von Aufsichtsrat und Vorstand, schlägt sich in mehreren Gegenanträgen zur Tagesordnung der Hauptversammlung nieder. Prominentester Vertreter dieser Opponenten ist Christian Strenger. Der 73-Jährige war früher Chef der zur Deutschen Bank gehörenden Fondsgesellschaft DWS und viele Jahre auch Mitglied einer Regierungskommission für Corporate Governance, die Grundsätze für eine gute Unternehmensführung und -kontrolle erarbeitet hat.

Pötsch sei als einer Hauptverantwortlichen der Dieselaffäre in einem dauerhaften Interessenkonflikt und durch die Einbeziehung in Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zusätzlich belastet, kritisiert Strenger. „Bis zur endgültigen Klärung der Verantwortlichkeit aus der Dieselaffäre bestünde zumindest begründeter Anlass, sein Amt ruhen zu lassen“, urteilt der Finanzexperte. Strenger ruft ebenso wie andere Antragsteller dazu auf, dem gesamten Aufsichtsrat und Vorstand die Entlastung zu verweigern, weil die Kontrolleure auch 2016 ihre Pflicht verletzt hätten, „für eine umfassende und transparente Aufklärung der Dieselaffäre zu sorgen“. Dem Vorstand, so meint Strenger, habe die systematische Manipulation jahrelang kaum verborgen bleiben können. Deshalb werde immer evidenter, dass er in der „Wahrnehmung seiner gesetzlichen Organisations- und Aufsichtspflichten intensiv versagt hat“.

Anders als die Fundamentalkritiker wollen die beiden großen Aktionärsvereinigungen SdK und DSW in diesem Jahr für eine Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat stimmen. „VW ist insgesamt auf einem guten Weg“, urteilt Hansgeorg Martius von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Der Vorstand habe ordentliche Zahlen vorgelegt, das Zukunftsprogramm 2025 mache einen guten Eindruck und auch die größten juristischen Baustellen, insbesondere die vom Abgasskandal ausgelösten rechtlichen Auseinandersetzungen in den USA, seien mittlerweile beseitigt worden. Ähnlich sieht es auch Ulrich Hocker, der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Die Aktionärsschützer wollen eine Sonderprüfung gerichtlich durchsetzen

Beide sind jedoch sehr unzufrieden mit den vom Unternehmen bereitgestellten Informationen zu den Ursachen des Dieselskandals. „Es gibt keine ausreichende Transparenz bei der Aufklärung“, bemängelt Martius. Diese Unzufriedenheit wurde dadurch noch verstärkt, dass das Unternehmen eine überraschende Wende vollzogen hat. Beim letzten Aktionärstreffen wurde den Anteilseignern noch in Aussicht gestellt, dass ein umfassender Bericht veröffentlicht werde, sobald die von VW beauftragte US-Kanzlei Jones Day ihre umfangreichen Untersuchungen abgeschlossen habe. Er könne kein umfassendes Zwischenergebnis der bisherigen Untersuchungen vorlegen, weil ein Vergleich mit dem US-Justizministerium noch nicht endgültig unter Dach und Fach sei, vertröstete Aufsichtsratschef Pötsch im vorigen Jahr die Aktionäre.

Später hieß es jedoch überraschend, dass die amerikanische Kanzlei überhaupt keinen schriftlichen Bericht verfassen werde. Aufsichtsratschef Pötsch begründet das mit einer unvorhersehbaren Entwicklung in den Verhandlungen mit dem US-Justizministerium. Denn Teil des Vergleichs mit dem US-Justizministerium ist ein sogenanntes „Statement of Facts“. Diese Faktensammlung enthält das Schuldeingeständnis des Unternehmens VW. Sie fasst die Ermittlungsergebnisse von Jones Day zusammen, die aus Sicht der amerikanischen Behörden für den Abschluss des Vergleichs relevant sind. Nach Einschätzung von Aufsichtsratschef Pötsch wäre es für das Unternehmen unvertretbar riskant, nach dieser Einigung mit dem Justizministerium einen eigenen Bericht zu veröffentlichen. DSW-Präsident Hocker will sich damit indes nicht zufriedengegeben. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt hat bereits auf der letzten Hauptversammlung eine Sonderprüfung der Dieselmanipulationen durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer beantragt. Damit hatte er jedoch – wie von vornherein wegen der Machtverhältnisse zu erwarten – keinen Erfolg. Seither arbeiten die Aktionärsschützer daran, eine solche Sonderprüfung auf dem juristischen Weg durchzuboxen.

Die Sache liegt derzeit das Landgericht Hannover. Eine Entscheidung soll unmittelbar bevorstehen. Der Jurist ist felsenfest davon überzeugt, dass die DSW diesen Streit gewinnen wird. „Die Sonderprüfung wird kommen“, verspricht Hocker.