Die Kubaner wissen noch nicht so richtig, wie sie die Ankündigung von Raúl Castro und Barack Obama einordnen sollen, dass nun diplomatische Beziehungen aufgenommen werden. Auch aus Sicht der Amerikaner ist die alte Distanz noch längst nicht überwunden.

Havanna/Washington - Es war kurz nach 12 Uhr mittags, als Raúl Castro am Mittwoch live in alle Wohnzimmer und Büros des Landes geschaltet wurde. Dann las der kubanische Präsident vor, was Minuten später sein Land genauso überraschen sollte wie die Weltöffentlichkeit. Diplomatische Beziehungen zu den USA! Botschaften statt Interessenvertretungen! Austausch von Gefangenen! Reise-Erleichterungen!

 

Die Mehrzahl der Kubaner vernahm es mit Ungläubigkeit, andere machten vor Freude Luftsprünge, weil sie sich dem von vielen gelobten Land USA bald näher glauben.   Aber wie immer auf der kommunistisch regierten Karibikinsel sind die Reaktionen nicht einhellig, wenn die Regierung Neues verkündet. So mischten sich in die Vorfreude auch Skepsis und Unglauben.

„Es kam für uns völlig überraschend, die wir mitten in einem Krieg geboren wurden, der veraltet ist und den wir nie wollten“, sagt Alejndro Rodríguez aus der Stadt Camagüey. Zwei Generationen Kubaner, acht der elf Millionen Einwohner der Insel, kennen die Vereinigten Staaten offiziell nur als den Feind kurz hinter dem Horizont. Und sie haben gelernt, dass das knappe Dutzend US-Präsidenten seit der kubanischen Revolution 1959 nichts anderes im Sinn hatte, als das letzte kommunistische Eiland im Meer des Kapitalismus zu versenken.

Die Hoffnungen waren schon aufgegeben

Fidel Castro, Kubas Revolutionsführer, der seit 2006 im Kranken- und Ruhestand ist, will 638 Attentate auf sein Leben gezählt haben. Die große Mehrheit davon dürfte auf das Konto des US-Geheimdienstes CIA gegangen sein. Nach der Rede Raúl Castros am Mittwoch gab es in der Hauptstadt Havanna kein anderes Thema mehr: In den Straßen beglückwünschten sich die Menschen, tauschten sich darüber aus, wie die Neuerungen ihr Leben verändern könnten.   Selbst die Journalistin Yoani Sánchez, eine der härtesten Kritikerinnen der Castro-Regierung, wusste nicht so richtig, was sie damit anfangen sollte. „Heute ist einer dieser Tage, den wir uns tausendfach vorgestellt haben, aber nie so, wie er dann am Ende gekommen ist“, schrieb sie auf ihrem Portal  „14ymedio.com“. „Die Zeichen standen doch andersherum, die Hoffnungen waren fast aufgegeben“. 

Die Kubaner haben sich ja daran gewöhnt, dass ihr Modell, das fünfzig Jahre in Stein gemeißelt schien, fast wöchentlich Veränderungen unterworfen wird. Internetcafés, Reisefreiheit, privatwirtschaftliche Freiheiten, Handys, Autos, Häuser frei zu erwerben. Kuba ist nicht mehr das, was es noch vor zehn Jahren war. Die Form mag noch die alte sein, aber der Inhalt ist ziemlich neu. So war es auch bei Raúl Castro in seiner braunen Uniform. Die Ansprache begann wie eine dieser typischen Reden kommunistischer Machthaber. Die Stimme eintönig, der Inhalt langatmig – als ginge es um eine Verordnung zur Erhöhung des Fünf-Jahres-Plans zum Zuckeranbau, aber Castro verkündete binnen zehn Minuten Historisches.

Politische Schlacht in Washington

Kurz nur währte die Freude über das angekündigte Ende der Eiszeit auch in Washington. US-Präsident Barack Obama war mit seiner zeitgleich zum Castro-Auftritt gehaltenen Rede gerade am Ende angelangt, als klar wurde: Der Umgang mit dem Inselstaat wird zu einem gewaltigen Streit im Kampf um Obamas Nachfolge führen. Zwar wählt Amerika erst in zwei Jahren, doch die potenziellen Kandidaten nutzen Obamas Ankündigung schon für klare Positionierungen.

Da ist etwa Hillary Clinton, die wahrscheinlich für die Demokraten in den Präsidentschaftswahlkampf einsteigen wird. Die frühere US-Außenministerin sagte, Obama habe das Richtige zur richtigen Zeit getan. Die Isolationspolitik der USA sei gescheitert und habe nur das Castro-Regime in Havanna gestärkt. Nun sei es an der Zeit, den Kubanern „die Werte, die Informationen und die materiellen Annehmlichkeiten der Außenwelt“ zu bringen. Das sei der beste Weg, um einen Prozess in Gang zu bringen, der zu wirklichen Reformen auf Kuba führen werde. Da ist aber auch Jeb Bush, der gute Chancen hat, Kandidat der Republikaner zu werden. Auch der Bruder des früheren Präsidenten George W. Bush hielt nicht lange still, sondern attackierte mit voller Wucht die Pläne des Weißen Hauses. „Kuba ist eine Diktatur mit einer verheerenden Menschenrechtsbilanz“, wetterte Bush. „Und nun hat Präsident Obama diese Diktatoren auch noch belohnt.“

Obama will einige Handels- und Reisebeschränkungen lockern und eine US-Botschaft in der kubanischen Hauptstadt eröffnen. Amerikaner etwa sollen künftig die auch in den USA beliebten Cohiba-Zigarren für den Eigenverbrauch einführen dürfen. Das allein ist schon eine Sensation, weil sich das große Amerika in Handelssachen dem Inselstaat gegenüber bisher vollständig verweigert hat. Gleich nach Neujahr soll die zuständige Staatssekretärin im US-Außenministerium nach Kuba reisen, um den Dialog mit der Regierung von Präsident Raúl Castro fortzusetzen.

Republikaner gegen den Trend

Mehr als anderthalb Jahre lang hatten zuvor Emissäre beider Länder die Bande geknüpft, die zur überraschenden Neuausrichtung führten. In den US-Medien wurde der Handschlag zwischen Obama und Castro während der Trauerfeier für Nelson Mandela in Südafrika als Zeichen gewertet, dass das Eis zwischen den USA und Kuba schon vor gut einem Jahr zu tauen begann.

Es mag Tauwetter eingesetzt haben, gebrochen ist das Eis noch nicht. Das Handelsembargo aus den frühen sechziger Jahren dürfte noch einige Zeit bestehen bleiben. Die Republikaner halten von Januar an die Mehrheit in beiden Häusern des US-Parlaments und haben bereits angekündigt, alle Bemühungen Obamas zu blockieren, das Embargo aufzuheben. Dazu bedarf es einer Zustimmung des US-Kongresses.

Das könnte für die Republikaner freilich problematisch werden, weil sie in gewisser Weise gegen den Trend vorgehen. Glaubt man Umfragen, sinkt in der US-Gesellschaft seit Jahren der Anteil der Amerikaner, die einen harten Kurs gegen das Castro-Regime befürworten.