Mit sechs Kollegen hat Sternekoch Nico Burkhardt vom Restaurant Olivo bei seiner ersten Küchenparty das Steigenberger-Hotel gerockt. Spitzenküche muss nicht steif sein. Dies lockt junge Menschen an.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Zu gediegen, zu feierlich, zu abgehoben? In Sternerestaurants, so glauben vor allem diejenigen, die sie nie oder selten besuchen, geht es im Zwang der Etikette etwas verkrampft zu. In den Tempeln der kulinarischen Hochgenüsse werden zuweilen Spaß und Lockerheit vermisst. Weit von diesen Klischees entfernt lässt es der gebürtige Berliner Nico Burkhardt, mit 33 Jahren Stuttgarts jüngster Sternekoch und Aufsteiger des Jahres 2017 im „Schlemmeratlas“, an diesem Abend mit genussbereiten Partygästen und feierfreudigen Feinschmeckern krachen. Sein Publikum entspricht selbst nicht dem Image, das Gourmets vom alten Schlag mit strenger Garderobe geprägt haben.

 

In mehreren Salons des Steigenberger-Hotels Graf Zeppelin sowie in der Küche des Gourmetrestaurants Olivo tummeln sich bei der Party 300 überwiegend junge und lässig gekleidete Gäste, die jeweils 169 Euro (inklusive der Getränke) bezahlten. Die Karten reichten nicht, es gab eine Warteliste. Beim Schlemmen muss nicht immer andächtige Stille herrschen, und man muss nicht immer stundenlang auf den nächsten Gang warten. Auf der Bühne singt Natascha Wright gefühlvoll-fesselnd Soul. Die Gäste holen sich auf kleinen Tellern, worauf und in welcher Reihenfolge sie Lust haben, etwa französische Trüffellinsen mit Nussbutterschaum vom Olivo-Küchenchef. Bisher war Burkhardt kochender Gast bei Küchenpartys der Kollegen. Jetzt lud er erstmals zum Topfgucken ein. Man genießt auf Hockern oder an Stehtischen. Später wird getanzt, noch später gibt’s Gourmet-Currywurst.

Koch als Entertainer am Mikrofon

Sechs Sterneköche mit acht Michelin-Sternen haben sich , bevor sie in ihren Kochnischen loslegen, vorgestellt. Über Paul Stradner von Brenners Park-Hotel in Baden-Baden und Tristan Brandt vom Restaurant Opus V im Mannheimer Modekaufhaus Engelhorn leuchten jeweils zwei Sterne. Der neuerdings in Schwetzingen tätige Sternekoch Tommy Möbius, der bis Februar Küchenchef im Restaurant Die Ente in Ketsch war, erweist sich am Mikro als Entertainer. Wird er nicht gestoppt, redet er ohne Punkt und Komma immer weiter. Wie sein Kumpel Nico Burkhardt gibt sich der 43-Jährige als „Ossi“ zu erkennen. Zwei Tage, bevor die Mauer fiel, war er mit dem Vater geflohen.

Heute ist Möbius, in dessen Pass Tommy steht und nicht etwa Thomas, in seiner Branche als provokanter Querdenker mit Faible für geradlinige Kochkunst bekannt. Kommen zu ihm auch so viele junge Leute wie zur Küchenparty in Stuttgart? „Ja, es gibt immer mehr Junge, die sich was Gutes leisten wollen und können“, bestätigt er, „aber die Älteren werden nicht vertrieben.“ Auch wenn seine Gäste immer jünger werden, will Möbius dieses „Hyper-Hyper“ nicht mitmachen, wie er es nennt, diese „Chichi“, das immer noch weiter übertrieben werde.

Devise: Lecker und locker

Bei der Olivo-Küchenparty (außerdem dabei: Bernd Bachofer aus Fellbach und Joannis Malathounis aus Kernen) bereitet er Ochsenbacke mit Olive und Salbei zu. Bei all seinem Hang zur Perfektion und all seiner Leidenschaft fürs Außergewöhnliche nimmt er’s auch locker. Sein Pfifferlinge-Lieferant sei überraschend ausgefallen, erzählt er, deshalb habe er Champignons genommen und seine Rezeptur geändert. Wahre Meister sind spontan.

Dass er „Omas Küche“ neu entdeckt, will er sich nicht nachsagen lassen. „Was sind denn die Omas von heute?“, fragt er, „die sind 60 und kochen auch modern.“

Eine Dame unter den Gästen, zwischen 60 und 70 , sagt, sie habe sich das Treffen der Sterneköchen anders vorgestellt, „nicht so laut und hektisch.“ Damit vertritt sie eine Minderheitenmeinung. Die meisten sind so begeistert, dass Nico Burkhardt fürs nächste Jahr eine Fortsetzung verspricht. In der Sterne-Liga geht der Nachwuchs der Genussfreunde nicht aus, die’s lecker und locker mögen.