Was ist das Geheimnis von Mode? Wo sind die Grenzen zur Kunst? Oda, die Stuttgarter Künstlerin, hat dazu nur eine Antwort: Statt sich selbst zu begrenzen, sollte man in einem uferlosen Meer der Gedanken baden.

Stuttgart - Prägung oder Gene? Oder beides? Beide Oda weiß man nie. Die Stuttgarterin hat 1000 Talente. Aber sie hat auch viele Idole, die sie geprägt haben. Da ist Richard Lindner. Der Künstler, der die grotesk-karikaturistischen Elemente der Neuen Sachlichkeit mit der knalligen Buntheit der US-Werbekunst verband. Da ist Professor Heinz Edelmann, ihr Lehrer für Grafikdesign an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.

 

Von beiden hat Oda, die inzwischen ihr Atelier in Renningen aufgebaut hat, manches mitgenommen. Aber da ist noch der Vater. Er hat eine besondere Spur gezogen, der sich Oda nicht entziehen kann. Vater und Tochter. Es ist, als treffen Prägung und Gene in einem einzigen Punkt zusammen. An einem Tag. An diesem Tag sagte Georg Fässler zu seiner Tochter: „Du musst realitätsfern bleiben. Lasse dich nie einschränken. Und lasse dir von der Gesellschaft keine Grenzen setzen. Die einzige Regel lautet: Verletzte nie jemanden!“

Erste Staffelei mit zwei Jahren

Diese Sätze waren für Oda vermutlich wichtiger als die Muttermilch. Nur so konnte sich das entfalten, was die Künstlerin heute ausmacht. Grenzenlose Poesie. Uferlose Kreativität. Sei es als Malerin, Modeschöpferin, Schmuckdesignerin oder Installationskünstlerin. Nie versperren dem alles könnenden und wollenden „Konzernle“ (Oda über Oda) gedankliche Mauern den Weg zum Kunstwerk. Vielleicht löste der Vater einen Lichtbogen aus, in dessen Schein noch vieles nachwirkt. „Ja, mein Papa war immer schon etwas schräg denkend“, sagt sie, „aber er hatte tolle Grundideen.“

Georg Fässler steckte Klein-Oda in den ersten unautoritären Kindergarten der Kunstakademie und überließ ihr im Alter von zwei Jahren seine Staffelei. Ein unnötiger Akt, denn wenig später sprengte Oda auch die Grenzen des DIN-genormten Papiers: „Ich habe einfach an den Wänden weitergemalt.“ Heute wie damals. Immer gilt Papas hegelianisches Prinzip: „Die Furcht zu irren ist der Irrtum selbst.“ Wer so lebt und arbeitet, schafft maximale Freiheit.

„Ich frage mich beispielsweise nie, ob die Sachen tragbar sind“, sagt sie. Sie will auch die Dimensionen von Mode sprengen. Dabei zählt bei ihr stets der erste Gedanke, die reine Inspiration. „Wer anfängt zu glauben, Mode muss praktisch sein, der reglementiert sich selbst“, sagt Oda. Wer Mode in Konfektionsgrößen denke, die ständig verfügbar ist, werde austauschbar. „Die heutige Mode ist langweilig.“ Zumindest mit dem Blick durch Odas Brille. Wo sind die Feuerwerke der früheren Modeshows? Wo die Visionen von Jean Paul Gaultier? Wo sind die Modeschöpfer, die große Schritte wagen, die polarisieren? Oda vermisst das auf den neuen Laufstegen der Machbarkeit: „Früher war Mode auch Kunst.“

Kritik an heutigen Designern

Es ist keine bösartige Kritik an den Modekonzernen und ihren Erfüllungsgehilfen. Es ist vielmehr Odas Art, die Welt zu betrachten. Am liebsten zweckfrei ohne merkantile Absicht. Das übernimmt in der Regel ihr Mann für sie. Axel Schultz. Er bringt Odas Gedankenprodukte auf die Erde und versilbert ihre Leistungen. Axel Schultz weiß: Enge ist Gift für seine Frau. Man darf Oda nie die Freude am Probieren oder die Lust zu schockieren nehmen. Nur dann entsteht Einzigartiges. Manchmal auch Einmaliges. So wie zuletzt, als sich Oda eine Jacke („Die kann ich kein zweites Mal anziehen“) für ihren New-York-Trip erdacht und selbst genäht hatte. „Ich stellte mir vor, ich sei eine Obdachlose“, erzählt sie, „die Jacke sollte wie eine zweite Hülle sein und gleichzeitig vor 20 Grad Kälte schützen.“

Das Ergebnis sagt alles. Die Jacke ist Kunst und wärmt. Innen hat sie dem Lammfell, in das ihr Sohn Neo (13) als Baby gewickelt war, einen neuen Sinn gegeben. Außen ist es tragbare Malerei. Egal, ob auf dem Broadway oder der 5th Avenue: „Viele haben mich auf die Jacke angesprochen. So hat Mode auch etwas Kommunikatives“, sagt sie, „so sollte Mode immer sein.“ Eine Diskussion. Ein Abbild der Gefühle. Immer fließend. Bei Oda werden aus solchen Gefühlen schon mal Wünsche: „Ich würde meine Bilder gerne von hinten sehen.“ Auch das ist für die Künstlerin ein Ausdruck von Lebendigkeit. Ihre Sachen sollten greifbar sein. Gedanklich – also begreifbar. Und im Wortsinn.

Kongeniale Zusammenarbeit mit Günter Krauss

So wie zuletzt bei einer Zusammenarbeit mit Günter Krauss. Der Stuttgarter Goldschmied und Schmuckdesigner ist so etwas wie ein Gegenstück zu Oda. Oft ergänzen sich beide. Meistens inspirieren sie sich. Und manchmal kommt auch Greifbares heraus. „Aus unserem Austausch entstehen Ideen“, sagt Oda und erzählt die Entstehungsgeschichte zum jüngsten Projekt. Das Ferkel-Oktopus-Projekt. Die Exegese dazu, wie Schweinisches zu den Tentakeln eines Tintenfischs kommt, würde diesen Rahmen sprengen. Nur so viel: Zwischen Oda und Krauss flogen Geistesblitze sowie Hunderte Bilder und Nachrichten über Whatsapp hin und her. So lange, bis fertige Schmuckstücke an Dekolletés der Frauen die Neugier der Männer neu erweckte.

„Da sind wir absolut seelenverwandt“, sagt Oda über sich und Krauss. Sie meint: Hier treffen sich zwei selbstverliebte Seelen, die in ihrem Schaffensprozess alle Konventionen und Normen ausblenden. Alles geht, ohne Denkverbote. Und als sie am Ende ein mit Brillanten geflutetes Oktopus-Schmuckstück in der Hand hält, ist sie selbst ein wenig verwundert. „Ja“, murmelt sie, „so entstehen die besonderen Dinge.“

Odas Vater würde wohl sagen: Bleibe realitätsfern, lass dich nie einschränken. Dann kommst du den schönsten Dingen ganz nah.