Nicht nur Politiker, auch Prominente aus Politik, Wirtschaft oder Kultur dürfen den Bundespräsidenten wählen. Aber stimmen sie auch im Sinn der Parteien ab, die sie entsenden?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Christoph Sonntag muss draußen bleiben. Der Kabarettist würde zwar gut in die Riege der Prominenten passen, die aus Baden-Württemberg zur Wahl des Bundespräsidenten nach Berlin reisen. Neben Politikern dürfen an diesem Sonntag auch einige handverlesene Vertreter von Kultur, Sport, Wirtschaft oder Wissenschaft über die Nachfolge von Joachim Gauck entscheiden: die Schauspielerin Natalia Wörner etwa auf Vorschlag der SPD, Fußballbundestrainer Joachim Löw (Grüne), „Focus“-Herausgeber Helmut Markwort (FDP) oder der Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell (Grüne).

 

Aber Sonntag, immerhin Träger des Verdienstordens des Landes, hat seine Chance auf das ehrenvolle Mandat womöglich schon vor Jahren verwirkt. Damals, 2010, wurde er „von einer großen Volkspartei“ als Wahlmann angefragt. Anders als diesmal, wo sich ein breites Bündnis auf Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier verständigt hat, gab es zwei gewichtige Kandidaten: den von Union und FDP unterstützten CDU-Politiker Christian Wulff und den von SPD und Grünen favorisierten parteilosen Gauck. Er hätte das auch „sehr gerne gemacht“, sagt der aus Waiblingen stammende Kabarettist, aber es gab ein Problem: seine persönliche Präferenz. Am Telefon erklärte er der Fraktion, dass er leider nicht in ihrem Sinne abstimmen könne und dies der Presse gegebenenfalls bestätigen würde. „Danach war die Anfrage vom Tisch“, erinnert er sich.

Fürstin Gloria wählt auf CSU-Ticket SPD

Dank Sonntags Fairness blieb der Partei eine Überraschung erspart, wie andere Parteien sie immer wieder erleben. Nicht jeder Promi nämlich, der ihnen zur Zierde gereichen soll, erweist sich als politisch verlässlich. Zur Wahl 2004 etwa entsandte die CSU nicht nur einen bekannten Fußballfunktionär oder einen früheren Siemens-Chef, sondern auch die einstige Punk-Prinzessin Gloria von Thurn und Taxis. Deren schrille Zeiten lagen damals schon länger zurück, sie galt den Christsozialen wohl als verlässliche Wahlfrau. Das war ein Irrtum: Statt für den Unionskandidaten Horst Köhler stimmte die Adelige für die SPD-Bewerberin Gesine Schwan. Beim nächsten Mal stand die Regensburgerin nicht mehr auf der Liste: Man setze diesmal nicht auf „Paradiesvögel“, verkündete CSU-Chef Horst Seehofer. Namen musste er keine nennen, jeder wusste auch so, wer gemeint war.

Ähnlich erging es den Südwest-Grünen im Jahr 2009, als es erneut „Köhler gegen Schwan“ hieß. Für sie durfte damals auch die Schauspielerin Jasmin Tabatabai mit abstimmen. Sie habe nach eigenem Bekunden aber nicht die von den Grünen empfohlene Schwan gewählt, sondern den Kandidaten der Linken (und Schauspielerkollegen) Peter Sodann, berichtet ein Sprecher. Sodann habe seinerzeit zwei Stimmen mehr erhalten, als die Linke Wahlleute zählte.

Solcher Freisinn wird von den Parteien freilich nicht nur goutiert. Mehr oder weniger offen sondieren sie die Verlässlichkeit ihrer Wahlleute. Vor deren Wahl „wurden Einzelgespräche geführt“, heißt es bei den Grünen – bei den Externen sogar mit dem Ministerpräsidenten oder Mitgliedern des Fraktionsvorstands. Dabei habe man auch über die Eignung Steinmeiers gesprochen, aber keine Wahlempfehlung gegeben. „Jedes Mitglied der Bundesversammlung ist frei in seiner Entscheidung und seiner Wahl“, betont die CDU. Man gehe aber davon aus, dass die eigenen Wahlleute den CDU-Vorschlag unterstützten.

Die Grünen führen „Einzelgespräche“

Eben diese Erwartung hegt die SPD sogar „felsenfest“. Ohne von der Fraktionsspitze gefragt worden zu sein, hätten alle Wahlleute bekundet, dass sie Steinmeier für einen „hervorragenden Vorschlag“ hielten. Aber natürlich sei die Wahl geheim. Bei der FDP reicht „vermutete Zuverlässigkeit“ als Kriterium für die Auswahl; die Entsandten würden „über ihr Abstimmungsverhalten vorher nicht befragt“. Die AfD-Fraktion verlässt sich ebenfalls darauf, dass ihre – per Los bestimmten – Wahlleute den eigenen Kandidaten wählen. Dieser, Albrecht Glaser, hat sogar einen besonderen Bezug zum Südwesten: Vor mehr als drei Jahrzehnten war er Beigeordneter und Bürgermeister im Nordbadischen. „Im Gegensatz zu den etablierten Parteien“, sagt eine Sprecherin, „stellen wir die verbriefte Gewissensfreiheit der Abgeordneten an die erste Stelle.“

Eine reale Chance hat Glaser indes nicht, dazu ist das Bündnis für Steinmeier zu mächtig. Der Kabarettist Sonntag macht sich darauf seinen eigenen Reim. Angesichts der klaren Kräfteverhältnisse, meint er, wäre es diesmal leichter als sonst gewesen, „einen kritischen Geist als Wahlmann zu benennen“.