Viele denken noch immer, dass Milch dem Menschen schadet. Doch was ist dran? Und wie gesund und nahrhaft sind Produkte wie Soja- oder Getreidemilch?

Stuttgart - Wie gesund ist Milch? Darüber wird seit Jahren diskutiert. Jetzt schwappt eine Debatte aus Kanada zu uns: Dort wird diskutiert, Milchprodukte in der Ernährungspyramide herabzustufen. Kanadische Milchbauern sind alarmiert. Unter dem Hashtag #milchistgift wird das Thema auch im Kurznachrichtendienst Twitter heiß diskutiert, nachdem Youtuber Simon Wiefels die Diskussion aufgriff und teils krude Theorien in den Raum stellte.

 

Doch was sind die Fakten?

Was können Produkte wie Soja- oder Getreidemilch?

Durchschnittlich eineinhalb Zentimeter kleiner als ihre Altersgenossen sind dreijährige Kinder, die statt Kuhmilch jeden Tag pflanzliche Produkte wie Soja- oder Getreidemilch trinken. Das publizierte 2017 ein Team um den Kindermediziner Jonathon Maguire vom St. Michael’s Hospital in der kanadischen Stadt Toronto im „American Journal of Nutrition“.

Die Forscher werteten die Daten von mehr als 5000 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren aus. 92 Prozent von ihnen tranken täglich Kuhmilch, 13 Prozent täglich pflanzlichen Milchersatz. Maguire glaubt, dass die Zahl der Kinder, die eher solche Alternativprodukte konsumieren, seit Jahren steigt, vermutlich wegen vermeintlicher Vorteile für die Gesundheit. „Viele Milchgetränke, die nicht von Kühen stammen, werden als Milchprodukte für Kinder vermarktet und verkauft“, schreibt das Team.

Der Abgleich der verzehrten Milchgetränke mit der Größe der Teilnehmer ergab einen von der Dosis abhängigen Effekt: Je weniger Kuhmilch die Kinder tranken, desto kleiner waren sie tendenziell. Dabei berücksichtigen die Forscher Faktoren wie Größe der Mutter, ethnische Zugehörigkeit und Einkommen der Familien. Auch wer sowohl Kuhmilch als auch Milchersatz konsumierte, war kleiner. Das zeige, dass man ein Kuhmilch-Manko nicht durch pflanzliche Milch wettmachen könne, schreibt das Team. Warum der Verzicht auf Kuhmilch das Körperwachstum einschränkt, untersuchten die Forscher nicht. Sie vermuten, dass in Kuhmilch enthaltene Eiweiße wie Casein und Molkenproteine sowie Fett dabei eine Rolle spielen.

Geringerer Nährwert?

Der möglicherweise geringere Nährwert der pflanzlichen Alternativen sei vielen Eltern vermutlich nicht bewusst, schreiben die Forscher. „Der Nährstoffgehalt von Kuhmilch wird in den USA und Kanada reguliert, die Nährstoffgehalte anderer Milchgetränke nicht“, erläutert Maguire. „Das heißt, dass der Gehalt zwischen zwei verschiedenen Alternativprodukten stark variieren kann, insbesondere was die Menge an Protein und Fett betrifft.“

Demnach enthalten zwei Tassen Kuhmilch 16 Gramm Eiweiß und decken damit etwa 70 Prozent des Tagesbedarfs eines dreijährigen Kindes. Zwei Tassen Mandelmilch enthielten hingegen nur vier Gramm Eiweiß. Die Forscher räumen ein, dass sie nicht zwischen verschiedenen pflanzlichen Milchgetränken wie Soja-, Mandel- Reis- oder Hafermilch unterschieden haben. Zudem habe man andere Ernährungsfaktoren nicht berücksichtigen können, die ebenfalls eine Rolle spielen könnten.

Kuhmilch könnte Wachstum anregen

Dass Kuhmilch das Wachstum anregt, glauben viele Fachleute schon länger. So haben niederländische Männer über die vorigen Jahrzehnte stärker an Größe zugelegt als Männer aus anderen Ländern. Gleichzeitig hat das Land den weltweit höchsten Pro-Kopf-Konsum von Milchprodukten. Den beobachteten Zusammenhang zwischen Milchkonsum und Körperwachstum hält auch Matthias Schulze vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke für plausibel. „Dass Kuhmilch für das Längenwachstum förderlich ist, ist bereits bekannt. Von daher ist es erwartbar, dass das Längenwachstum geringer ausfällt, wenn man pflanzliche Milchprodukte anstatt Kuhmilch trinkt.“

Was das bedeutet, sei allerdings nach wie vor unklar. „Wir wissen nicht, ob das gut oder schlecht für die Gesundheit ist.“ In einer Übersichtsarbeit hatten Forscher um Schulze im vergangenen Jahr diskutiert, dass die Körpergröße das Risiko für eine Reihe von Krankheiten unterschiedlich beeinflusst. Größere Menschen hatten demnach ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes, aber ein höheres Risiko für Krebs.

Geringerer Proteingehalt

Ein möglicherweise geringerer Proteingehalt in pflanzlichen Milchprodukten bedeute nicht zwangsläufig, dass die Kinder insgesamt zu wenig Protein zu sich nähmen, sagt Schulze. „Um das herauszufinden, müsste man die Nährstoffzufuhr viel detaillierter aufschlüsseln, also auch erfassen, wie die Kinder sich sonst ernähren.“

Das sagt auch Martin Claßen, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Links der Weser in Bremen und Vorsitzender des Verbands der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE). „Das Wachstumsdefizit der Kinder in der kanadischen Studie auf einen einzigen Faktor zurückzuführen, halte ich für schwierig – man könnte sich vorstellen, dass die Eltern auch noch andere Ernährungskomponenten geändert haben“, erläutert Martin Claßen.

Dennoch empfiehlt er, Kleinkindern bis zum zweiten Lebensjahr eiweißreduzierte Milch statt Vollmilch zu trinken zu geben – sogenannte Folgemilch oder Kleinkindmilch. „Eltern können früh die Weichen dafür stellen, ob ihr Kind später Übergewicht hat oder nicht“, sagt Claßen. „Studien zeigen, dass 6- bis 10-Jährige, die als Kleinkinder zu proteinreich ernährt wurden, öfter übergewichtig sind als gleichaltrige Kinder, bei denen das nicht der Fall war.“ Dieses Risiko dürfe man nicht unterschätzen.

Im ersten Jahr keine Kuhmilch

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät darüber hinaus im ersten Lebensjahr von herkömmlicher Trinkmilch ab: Aufgrund ihrer Zusammensetzung sei Kuhvollmilch für Säuglinge ungeeignet. Geringe Mengen Vollmilch, wie sie etwa im Vollmilch-Getreide-Brei enthalten sind, könnten frühestens ab dem sechsten Monat gefüttert werden.

Ab dem Kindes- und Jugendalter empfiehlt Martin Claßen dann, täglich Milchprodukte zu konsumieren, um den Kalziumbedarf zu decken – zum Beispiel ein Glas Milch oder einen Becher Joghurt. „Wer als Kind und als Jugendlicher genug Milchprodukte zu sich nimmt, kann der Knochenkrankheit Osteoporose vorbeugen – das ist sozusagen eine Investition in die Zukunft“, sagt er.

Kinder brauchen Mikronährstoffe

Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren, legt Claßen nahe, darauf zu achten, ihren Nachwuchs mit ausreichend Proteinen zu versorgen. Und dabei das gesamte Spektrum an Lebensmitteln zu betrachten, um sicherzustellen, dass die Kinder mit Mikronährstoffen wie Eisen oder Vitamin B12 versorgt sind. Bei Sojamilch allerdings rät er zum maßvollen Genuss. „Sojamilch enthält Östrogen-ähnliche Stoffe“, so Claßen. „Daher ist eine reine Sojamilchernährung im ersten Lebensjahr ungünstig.“

Für Erwachsene, die nicht unter einer Laktoseintoleranz leiden, sei weder Sojamilch noch Milch grundsätzlich schädlich. Bei ihrem Konsum gelte wie bei jedem Lebensmittel: alles in Maßen.

Wie gesund ist Milch?

Kritik
Milch verursacht Diabetes und verstopft die Arterien – Vorwürfe wie diese liest man immer wieder. Stimmt das?

Risiko
Wer übliche Mengen an Milchprodukten verzehrt, kann viele Gesundheitsrisiken sogar leicht senken, berichtet das Max-Rubner-Institut – ein Bundesforschungsinstitut zum Thema Ernährung. Positiv wirke sich der Konsum etwa auf den Blutdruck aus.

Menge
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt einen Konsum von bis zu 250 Gramm fettarme Milch und Milchprodukte sowie 50 bis 60 Gramm fettarmen Käse täglich