Kühe leiden unter ihren Glocken, sagt eine Schweizer Studie. Die Debatte erhitzt nun auch die Gemüter in Bayern. Vom Minister bis zum Tourismusverband schlägt man Alarm. Dabei ist von einem Verbot der Kuhglocken noch gar nicht die Rede.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Wirtsbua, was kosten deine zwei Ochsen?“ schallte es dem Obermaier Max, einem jungen Mann aus Gmund am Tegernsee, vom Tölzer Markt entgegen, als er 1837 mit einer stattlichen Anzahl Rinder aus der Schweiz ins bayerische Oberland heimkehrte. Und schon waren sie verkauft, die exklusiven Viecher, das Paar für 500 Gulden.

 

Es war ein Import, der sich lohnen sollte. Eingekreuzt mit den örtlichen Pinzgauern und Ponzgauern brachte es der hernach so genannte Miesbacher Schlag (genügsam im Futter, sehr ergiebig beim Melken) zu erheblichem Ruhm: „Schön tragen sie den Kopf mit der breiten Stirn“, schwärmt es noch viele Jahre später in der Festschrift des Zuchtverbands fürs oberbayerische Alpenfleckvieh, wo man weiß, wem nachträglich Anerkennung gebührt: ewig geht der Dank in die Schweiz. Momentan allerdings und bei eh angespannter Lage unter den Bauern, ist das Verhältnis zwischen den Bayern und den eidgenössischen Nachbarn in Sachen Kuh ein wenig getrübt.

Die Glocken sind zu laut für Kuhohren

Das liegt an einer Studie, die von Wissenschaftlern der Universität Zürich jüngst (und bereits zum erheblichen Missfallen zahlreicher Schweizer Bauern) vorgestellt wurde. Untersucht fand sich das Fress-, Ruhe- und Bewegungsverhalten eidgenössischer Kühe, die mit einer Glocke um den Hals grasen. Die Studie beurteilt die Daseinsaussichten für diese Tiere auf längere Zeit nicht als eben günstig. Insgesamt, heißt es, würden die behängten Viecher weniger fressen als andere Kühe, die am Hals oben ohne gehen. Zudem fiele den Glocken-Kühen das Abschalten schwerer.

Spitz merkt die Leiterin der Studie an, dass dies nicht weiter verwunderlich sei, schließlich produziere eine anständige Glocke im Vollbetrieb ungefähr 100 Dezibel, mache also einen Lärm, wie ihn Presslufthämmer hervorbringen. Presslufthämmer! Das ist natürlich nicht der „Sound of Bavaria“, den Touristen mit dem Freistaat assoziieren, wenn sie es von den Autobahnen herunter in ihre Ferienwohnung und dann auf die Alm hinauf geschafft haben. Wie meistens, wenn es in Debatten um Traditionsfragen geht, pflegen rasch die Pferde durchzugehen (wenn das Bild erlaubt ist).

Niemand hat die Absicht, Kuhglocken zu verbieten

Unter Bauern im Oberland wie im Allgäu machte jedenfalls Anfang der Woche schnell das Gerücht die Runde, der Landesverband des Tierschutzbundes wolle demnächst wegen der Schweizer Studie die Kuhglocken samt und sonders verbieten. Gesagt hatte das die Präsidentin des Verbandes, Nicole Brühl, nicht mit einem Wort, sondern lediglich, dass man handeln werde, wenn „nachzuweisen ist, dass die Kühe Schaden davon tragen“.

Aber, wie das so ist in einer oft hysterischen, wenig aufs Zuhören ausgerichteten Medienwelt – auf einmal sind alle alarmiert. So trommeln von der Tourismusgesellschaft Allgäu bis zum bayerischen Landwirtschaftsminister Helmut Brunner auf einmal alle gegen ein Verbot der Kuhglocke, das keiner gefordert hat. Tenor, trotzdem: Jetzt schlägt’s aber dreizehn…

Wie meistens lohnt sich genaues Zuhören

An der oberbayerischen Basis sind sie da schon ruhiger. Der Bezirksalmbauer Almbauer Hans Probst zum Beispiel, der Kuhglocken auf der Alm kennt, seit er denken kann, glaubt nicht ernsthaft, dass ein Vieh „verhaltensgestört“ werde, nur weil es leise bimmele. Wie meistens, lohnt ein genauer Blick: die Zürcher Studie hat Glocken im Sinn, die in hiesigen Gegenden allenfalls zum Almabtrieb dem Leittier umgehängt werden. Sie wiegen mehr als ein Kilo, manchmal drei – und kommen auf der Alm nicht zum Einsatz.

Kleinere Glocken hingegen hält Probst dagegen dort für absolut unverzichtbar. Wie sonst ließen sich im Gelände und bei Nebel die Tiere auftreiben? Gegen ein GPS-Band wenden sich die meisten Bauern entschieden und nicht nur aus Kostengründen. Weil der Chip dafür einoperiert werden muss, dürfte die Prozedur schmerzhafter sein als beständiges Geläut im Ohr. Auf der anderen Seite gibt es Gegenden wo eine Glocke so überflüssig ist wie ein Kropf und allenfalls ein folkloristisches Zugeständnis für Gäste darstellt. In Holzkirchen ist ein Bauer jüngst dazu verurteilt worden, seinen Tieren die Glocken in der Nacht abzunehmen. Holzkirchen, dreißig Kilometer südlich von München und größtenteils ein Schlafdorf für Pendler, ist nicht mehr das Holzkirchen von früher. Anwohner hatten sich wegen des Dauerbimbams beschwert.

Der Schellen-Ursli wird verfilmt

Während sich die bayerische Glocken-Debatte zum Ende des Sommers wahrscheinlich wieder legt, bleibt Glocken in der Schweiz ein Thema, allerdings spielen nicht immer Kühe die Hauptrolle. Die Geschichte vom Schellen-Ursli nämlich, Grundlage eines überaus beliebten Kinderbuchs von Selina Chönz, handelt von einem Buben, der beim Ausläuten des Winters im Engadin nur die kleinste Glocke vorweisen kann. Durch den Schnee steigt Ursli zur Alphütte auf, um eine größere zu holen. Am nächsten Tag ist Ursli zurück und führt den Zug der Gemeinde an – wahrscheinlich mit hundert Dezibel. Nach dem Heidi gehört der Schellen-Ursli zum erweiterten Schweizer Nationalheldentum. Gerade ist die Geschichte von Xavier Koller verfilmt worden. Kinostart: 15. Oktober.