Eine Initiative aus Hamburg will die deutsche Tradition der Grabpflege bewahren. So könnte 30.000 Friedhöfen in Deutschland bald eine besondere Ehre zuteilwerden.

Stuttgart - Den rund 30 000 deutschen Friedhöfen soll eine besondere Ehre zuteilwerden. Eine branchenübergreifende Initiative aus Steinmetzen, Friedhofsgärtnern, Bestattern und Friedhofsverwaltern reichte am letzten Oktoberfreitag beim Hamburger Senat einen Antrag ein, die „Deutsche Friedhofskultur“ in die Unesco-Liste des immateriellen Welterbes aufzunehmen.

 

Die Hansestadt war ausgewählt worden, weil hier die Initiatoren der Bewerbung ihren Sitz haben. Diesen geht es darum, ein Zeichen dagegen zu setzen, dass „viele den Friedhof nur unter pragmatischen und finanziellen Aspekten“ sähen und Gräber „als teuer und pflegeintensiv“ betrachteten, so Tobias Pehle, Sprecher der Initiative und des Verbandes deutscher Natursteinverarbeiter. Zudem werde im „aktuellen Hype um alternative Bestattungen der wahre Wert des Friedhofs leicht übersehen“.

Das immaterielle Menschheitserbe umfasst das Brauchtum

Die Vertreter der am Friedhof tätigen Gewerke wollen mit der Bewerbung eine „sinnstiftende, kulturelle Bedeutung unserer über Jahrhunderte gewachsenen Friedhofskultur wieder ins öffentliche Bewusstsein rücken“. Nach Beobachtung der Kielerin Nadia Reumann vom Verein zur Förderung der Friedhofskultur werden Friedhöfe „in ihrer Bedeutung oft unterschätzt“. Es sei eine „Kultur der leisen Töne“, der man stärker Gehör verschaffen wolle. Immerhin wäre die deutsche Friedhofskultur „in ihrer Vielfalt weltweit einmalig“.

Das immaterielle Menschheitserbe umfasst nicht bauliche Zeitzeugen, sondern gesellschaftliche Bräuche, soziale Praktiken, Rituale und Feste oder auch das Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken. Auf der nationalen Liste stehen bisher 27 Kulturformen, so die Deutsche Brotkultur, der Rheinische Karneval, das Köhlerhandwerk, der Musikinstrumentenbau in Sachsen und die Handwerksgesellenwanderschaft Walz. Auf der internationalen Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes findet sich vorerst noch kein deutscher Beitrag. In Kürze dürfte hier jedoch die in Deutschland entstandene Genossenschaftsidee Einzug halten – eingereicht von Baden-Württemberg und Sachsen.

Für den Eintrag in die Liste ist dabei Voraussetzung, dass die schützenswerten Kulturgüter „lebendig und identitätsstiftend“ sind. Beides sieht die Initiative in puncto Friedhofskultur in besonderem Maße gegeben. Denn laut Pehle prägt die Friedhofskultur „unser Leben und unser Selbstbild mit“. Friedhöfe seien „Geschichtsbücher unseres Landes, unserer Städte, unserer Dörfer“. Ihre identitätsstiftende Kraft reflektiere die „Leistungen unserer Vorfahren sowie die Geschichte und Strukturen unserer Gesellschaft“.

Deutsche Friedhöfe sind oft auch soziale Treffpunkte

Unterstützt wird der Antrag durch zwei Expertendossiers, wie sie für jede Bewerbung vorgeschrieben sind. Eines stammt von Reiner Sörries, dem langjährigen Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel, das andere von dem Hamburger Volkskundler und Kulturanthropologen Norbert Fischer. Sörries begründet die Aufnahme in die Welterbeliste auch damit, dass „im Kernland der Reformation die Ideen der Aufklärung zur Neugestaltung des Friedhofswesens in organisatorischer wie gestalterischer Hinsicht auf besonders fruchtbaren Boden gefallen“ wären.

Fischer sieht das besondere deutscher Friedhofskultur „in der Naturlandschaft, in die die Erinnerungskultur eingebettet“ werde. Der riesige Parkfriedhof Hamburg-Ohlsdorf sei ein klarer Beleg dafür: „Hier verschwinde der Tod hinter einer landschaftlich großartig gestalteten Kulisse.“ Friedhöfe in Deutschland wären oft zugleich Grünanlagen, soziale Treffpunkte sowie Orte kultureller Aufführungen.

Um es aber wirklich zu weltweiten Ehren zu bringen, hat die deutsche Friedhofskultur noch einen weiten Weg vor sich. Zunächst muss sie sich in einem nationalen Auswahlverfahren gegen 63 weitere Bewerbungen durchsetzen, um für die deutsche Liste bestätigt zu werden. Dann entscheidet die deutsche Unesco-Kommission in zwei oder drei Jahren, welche Kulturgüter sie für die Welterbeliste anbietet.