Ein Unternehmer möchte der Stadt Tübingen einen Konzertsaal schenken. Das Echo fällt geteilt aus was Standort und Größe betrifft. Doch ohne diese Gabe kann sich die keinen Saal leisten.

Tübingen - Es war schon nach 23 Uhr, als Boris Palmer aufs Ganze ging: „Soll die Stadt das Projekt nicht weiterverfolgen?“, fragte der Tübinger Oberbürgermeister in die Runde. Die Bürger im großen Veranstaltungssaal der Tübinger Kreissparkasse sollten darüber abstimmen, ob der Gemeinderat das Angebot des früheren Putzmeister-Eigentümers Karl Schlecht annehmen soll oder nicht. Der Unternehmer will mit seiner Stiftung an der zentralen Wilhelmsstraße einen neuen Konzertsaal für acht Millionen Euro bauen und der Stadt zur Nutzung überlassen. Die Stadt müsste dann nur noch die Betriebskosten von jährlich rund 300 000 Euro tragen.

 

Was andernorts kaum infrage gestellt würde, diskutierten in Tübingen über drei Stunden lang Fachleute und 300 Interessierte so kontrovers wie konstruktiv. Palmer riskierte somit durchaus eine Abfuhr des von ihm seit eineinhalb Jahren forcierten Projekts. Er selbst war es dann, der bei der Abstimmung vom Rednerpult aus die Handzeichen zählte. Als sich eine knappe Mehrheit für den Bau abzeichnete, verkündete der OB großzügig ein „klassisches Unentschieden“.

„Der Klotz wird nicht gebaut“

Im Vorfeld hatte das „Schwäbische Tagblatt“ eine Illustration der Karl-Schlecht-Stiftung veröffentlicht, die angesichts der Größe und der Architektur des Baus das Blut vieler Tübinger in Wallung brachte. Palmer vermochte zu besänftigen. „Dieser Klotz wird nicht gebaut“, versprach das Stadtoberhaupt. Er warb aber zugleich dafür, den Investor spüren zu lassen, „dass wir uns darüber freuen, wenn jemand Geld für Tübingen zur Verfügung stellt“.

Was aber ist der Grund für die Großzügigkeit des Unternehmers? Der Konzertbau sei als „Hommage für und an die hochrangigen wissenschaftlichen und akademischen Persönlichkeiten“ gedacht, die an der Tübinger Universität gewirkt hätten. Deren Wirken solle weiter gefördert werden, heißt es auf der Homepage der Karl-Schlecht-Gesellschaft. „Zugleich ist es Ausdruck meiner Dankbarkeit für das, was mir aus wissenschaftlichem – meinem die Wahrheit suchenden, nach dem schlechthin Guten gerichteten – Streben im Leben geschenkt wurde“, wird Schlecht zitiert.

Karl Schlecht: Hier wird gebaut, oder gar nicht

Es geht nicht um reine Wohltätigkeit. Schließlich sollen Einnahmen von Geschäftsräumen, Arztpraxen und Wohnungen in den Stockwerken über dem Konzertsaal dessen Baukosten ausgleichen. Ein Gewinn sei nicht beabsichtigt, hob Palmer hervor. Er gestand jedoch ein, dass Karl Schlecht nur gewillt sei, am Rand des Alten Botanischen Gartens zu investieren – „oder eben gar nicht“. Dieter Thomas Kuhn, Tübingens bekanntester Musiker, hielt dem entgegen: „Wenn Herr Schlecht Tübingen ein Geschenk machen will, dann soll er der Stadt acht Millionen Euro geben, dann kann die entscheiden, wo gebaut wird.“

Der von Schlecht bestimmte Standort ist umstritten. Den unansehnlichen Flachbauten dort würde keiner nachtrauern. Aber die Museumsgesellschaft erhält Mieteinnahmen und finanziert so ihr Kulturprogramm im stattlichen Gebäude am anderen Ende des Areals. Der Neubau würde in Erbpacht entstehen, die Einnahmen des Museums blieben gesichert.

Einmalige Chance für die lokale Musikszene?

Nach der Absage an die Investoren-Skizze führte auch eine von den Tübinger Stadtplanern entworfene, zierlichere Variante des Neubaus zu Kritik. Der weitläufige Eindruck dieses Stadtparks würde eingeengt, meinte der frühere Tübinger Stadtsanierer Andreas Feldtkeller. Zudem würde der Platz für eine künftige Stadtbahn-Haltestelle knapp. Konzertveranstalter schätzten die bautechnisch maximal möglichen 600 Sitzplätze als zu wenig ein.

Indes, eines wurde deutlich: einen neuen Konzertsaal wünschten sich alle Anwesenden im Sparkassen-Carré. Ein Haus mit 900 Plätzen und in der Nähe des Bahnhofs wäre vielen recht. Andere, wie die Künstlerbundvorsitzende Cornelia Szelényi sehen den Schlecht-Bau als „einmalige Chance“ an. An der Schnittstelle zwischen Altstadt und Uni und in Partnerschaft mit dem „Museum“ könnte ein Zentrum für die lokale Musik entstehen – und das binnen einer überschaubaren Frist. Ohne das Geld der Stiftung wäre Tübingen nicht in der Lage, in den nächsten Jahren den Bau eines Konzertsaals zu stemmen, und zwar unabhängig von Größe und Standort. Mit dieser Alternative vor Augen wollte mancher Bürger das Projekt nicht mehr verdammen.