Birgit Schneider-Bönninger übernimmt im Januar die Leitung des Stuttgarter Kulturamts. Sie hat viel vor, will Interimsnutzungen und Basisarbeit fördern. Vor allem verspricht sie das, was sich viele wünschen: Wertschätzung für die Künste.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Wenn Birgit Schneider-Bönninger so schnell arbeitet, wie sie spricht, dann können sich die Damen und Herren im Kulturamt auf einiges gefasst machen. Dann könnte es tatsächlich sein, dass in dem Amt bald ein frisches Lüftchen weht, das man in den vergangenen Jahren mitunter vermisst hat. Im Januar wird Birgit Schneider-Bönninger die neue Leiterin des Stuttgarter Kulturamts, und man nimmt ihr sofort ab, dass sie „mit Schwung und Lust“ nach Stuttgart kommt . Und dass für sie diese neue Stelle kein nettes Pöstchen sein dürfte, auf dem man sich gemütlich einrichtet oder möglichst unauffällig im Hintergrund wirkt. Bei Birgit Schneider-Bönninger kann man davon ausgehen, dass sie es anpackt.

 

„Das klassische Image ist: ein Amt ist ein Amt“, sagt Schneider-Bönninger – und will das so doch nicht hinnehmen. Deshalb wird eine ihrer ersten Amtshandlungen im Januar sein, eine Kultursprechstunde einzurichten für Künstler und Kulturschaffende, aber auch für Bürgerinnen und Bürger. Sie ahnt zwar schon, dass sie künftig viele Stunden in Sitzungen und Gremien verbringen wird – und will trotzdem dicht an der Kultur dran sein, will den Kulturschaffenden „Wertschätzung entgegen bringen“, sie fördern und unterstützen. „Man muss für das sorgen, was fehlt“.

Denn natürlich hat auch die Stuttgarter Kultur Defizite – trotz der enormen kulturellen Vielfalt, die Schneider-Bönninger beeindruckt wie begeistert. „Die Hochkultur ist vorhanden und sehr renommiert“, sagt sie, „Aber es gehört auch dazu, dass etwas von unten nachwächst“. Ihr liegt diese „Kultur von unten“ besonders am Herzen, sie hält die kulturelle Zwischennutzung von Gebäuden für wichtig. Und auch die Stadtteilkultur ist ihr ein Anliegen. „Mein Kredo ist: Die ganze Stadt als Kunstwerk erobern.“

Sie kommt aus Wolfsburg

Eigentlich ist Birgit Schneider-Bönninger „durch und durch Historikerin und Pädagogin“, wie sie sagt. Sie hat Geschichte und Sozialwissenschaft studiert und über die Wechselwirkungen zwischen Schul- und Industriegeschichte promoviert. Sie hat das Stadtarchiv Wolfsburg geleitet, hat versucht, junge Leute für Stadtgeschichte zu mobilisieren, hat die Wolfsburger Geschichtswerkstatt ausgebaut und mit Schulen die NS-Vergangenheit aufgearbeitet. Erinnerungskultur ist eines ihrer Steckenpferde – und kulturelle Bildung ein weiteres.

Seit vier Jahren leitet sie nun das Kulturamt von Wolfsburg – aber als sie die Ausschreibung für Stuttgart las, „hat es einfach gepasst von der Biografie und den inhaltlichen Schwerpunkten her“, sagt sie und weiß durchaus, dass der Wechsel „in jeder Hinsicht eine Herausforderung ist“. Wolfsburg hat 120 000 Einwohner, Stuttgart fast 600 000. Im Wolfsburger Kulturamt sind 200 Personen tätig, im Stuttgarter sind es 800 – wenn man die Musikschule, die Stuttgarter Philharmoniker und die Stadtbibliothek dazurechnet. Im Kulturamt selbst sitzen vierzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Und der Etat ist größer“, sagt Schneider-Bönninger.

Bei den aktuellen Etatverhandlungen wird sie zwar noch nicht dabei sein, „ich muss im Januar nehmen, was bei den Haushaltsberatungen herausgekommen ist“, aber sie ist sich trotzdem sicher: „Wir werden viele Dinge auf den Weg bringen“. Sie will einen Künstlerpool aufbauen, der an Schulen geht, um dort die kulturelle Bildung voranzutreiben. Sie will aber auch die Medienstadt Stuttgart stärker fördern. Sie will die Studentenschaft stärker für das Kulturleben begeistern. Und es ist bei ihr auch bereits angekommen: „Alle wünschen sich ein Kommunales Kino zurück.“ Sie hat das Gefühl, dass in Stuttgart „alles ein bisschen im Aufbruch ist, aber es gibt genug, was man tun kann“.

Wohnung am Marienplatz

Für Schneider-Bönninger kommt der Wechsel von Wolfsburg nach Stuttgart gerade zum richtigen Zeitpunkt. Sie ist jetzt fünfzig. Die Tochter ist gerade ausgezogen zum Studium in Magdeburg. Ihr Mann ist im öffentlichen Dienst tätig. Wann und wie er nachkommt – „mal sehen“, sagt sie. Schneider-Bönninger hat bereits eine Wohnung am Marienplatz gefunden, weil sie eigentlich schon im Dezember anfangen wollte. Jetzt wird es doch Januar werden, weil sie nicht schneller weg kann aus Wolfsburg. Die erste Zeit wird sie in Stuttgart „auf Kulturtour gehen“, sagt sie, „aber bei der Vielfalt werde ich länger als hundert Tage brauchen“.

Eigentlich würde sie gern Klavierunterricht nehmen – sie hat früher schon Orgel gespielt. „Wenn es die Zeit erlaubt“, will sie zumindest einen Schnupperkurs für Klavier besuchen. Aber Schneider-Bönninger ahnt es schon, dass es mit ihrer Zeit knapp werden könnte. Sie hat immer wissenschaftlich gearbeitet und veröffentlicht und zum Beispiel in der „Wolfsburgsaga“ an der Geschichte der Stadt mitgeschrieben.

Publizieren wird sie sicher nicht mehr können, aber neben der Kultur muss noch Zeit für die eigenen Leidenschaften sein. Schneider-Bönninger schätzt – ganz privat – die Baukunst, eine ihre Lieblingseinrichtungen in Wolfsburg war dagegen das Planetarium. „Astronomische Themen finde ich total interessant“. Ins Kino geht sie auch gern, aber vor allem ist sie ein großer Fußballfan. „Ich werde die Mercedes-Benz Arena viel besuchen“, prophezeit sie schon jetzt. Bisher hat ihr Herz für Borussia Dortmund geschlagen. Aber da ist die euphorische Neustuttgarterin doch diplomatisch genug, um schnell nachzuschieben: „Aber den VfB finde ich auch genial.“