An der Löwenstraße in Degerloch steht ein Holzhaus, das als Zeitzeuge der Architekturgeschichte gilt. Im Stuttgarter Westen soll ein Holzhaus aus der Feder desselben Architekten abgerissen werden – trotz Denkmaltitel.

Das schwarze Holzhaus hat Margrit Timme in seinen Bann gezogen. Die Bewohnerin sammelt alle Informationen, die sie über das Gebäude und dessen Geschichte finden kann. Das Haus an der Löwenstraße 123 ist nämlich nicht irgendein Haus; in den 1920er-Jahren vom Architekten Hans Zimmermann entworfen, gilt es als beispielhaftes Zeugnis für die Anfänge des Fertighausbaus und steht seit 2004 unter Denkmalschutz.

 

Im Westen wir ein ähnliches Haus abgerissen

Ein anderes Holzhaus aus der Feder Hans Zimmermanns im Stuttgarter Westen wurde erst im vergangenen Sommer zum Kulturdenkmal. Doch diese Kategorie wird es nicht mehr retten. Das historische Fertighaus an der Leibnizstraße 83 soll abgerissen werden. Ein Investor will dort ein Mehrfamilienhaus errichten.

Dass der Abrissbagger an der Löwenstraße 123 vorfährt, darf getrost als Albtraum von Margrit Timme bezeichnet werden. Das Haus Schottländer – benannt nach dem Bauherren – wurde 1926 geplant und ein Jahr später innerhalb weniger Wochen aufgebaut. „Das ist der Vorteil an einem Holzhaus, dass man es so schnell bauen konnte“, sagt Margrit Timme. Für den Bau seien damals 40 000 Goldmark zur Verfügung gestanden, sie wurden komplett aufgebraucht. Da das Geld knapp war, sei das Haus nur halb unterkellert worden.

Das Haus an der Löwenstraße heute Foto: Woydt

Wie der Kontakt zwischen dem Psychoanalytiker Felix Schottländer und dem Architekten Hans Zimmermann entstanden ist, weiß Margrit Timme nicht sicher. Sie vermutet, dass Karl Lemmé, der ehemalige Besitzer des Grundstücks, das Bindeglied war. Lemmé wollte zur selben Zeit, als die Schottländers bauen wollten, sein Haus von Hans Zimmermann umgestalten lassen. Er war übrigens mit der Malerin Maria Lemmé verheiratet.

Das Haus war ein großes Glück

1978 zog Margrit Timme mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ein in das Haus mit dem weit überstehenden Dach und den auffälligen Auskragungen des Obergeschosses. „Dass wir das Haus bekommen haben, war ein großes Glück“, sagt sie. Sie habe mit ihrer Familie in der Nähe in einer Wohnung gelebt und ein Haus gesucht, doch nichts gefunden. Der Zufall wollte, dass Schottländers Tochter eine Familie suchte, die bereit war, in das Holzhaus zu ziehen und die Mutter bis zu ihrem Tod dort wohnen zu lassen. Ein Grund, dieses Angebot anzunehmen, war der geminderte Kaufpreis. Außerdem habe sie über die Wohngemeinschaft mit der alten Dame allerlei Wissenswertes über das Haus und dessen Architekt erfahren, sagt Timme.

Auf Anregung von Timme ist das Haus 2004 unter Denkmalschutz gestellt worden. Laut der städtischen Denkmalschutzbehörde ist es aus „wissenschaftlichen, künstlerischen und heimatgeschichtlichen Gründen“ als Kulturdenkmal eingestuft worden. Die heimatgeschichtliche Relevanz hängt mit der Person Felix Schottländer zusammen.

Schottländer arbeitete mit der Psychoanalyse

Schottländer war 1892 geboren worden und hatte die klassische Psychoanalyse nach Sigmund Freud gelernt. In seinem Wohnhaus in Degerloch hatte er auch seine Praxis, in der er Patienten behandelte. Die Originalcouch ist noch erhalten. Schottländer stammte aus einer alten russischen Brauereifamilie und kannte daher die Häuser aus Holz nur zu gut, was seinen Wunsch weckte, ein solches Haus bauen zu lassen.

Der Architekt Zimmermann ließ das Haus der Schottländers von der Firma Christoph & Unmack in Niesky planen. Laut Margrit Timme ist das Fertighaus in einer Fabrikhalle aufgebaut, jedes Teil mit einer Nummer versehen, wieder abgebaut und in Degerloch wieder rekonstruiert worden. Die Firma entwickelte Holzhäuser mit hohem architektonischen Anspruch. Die Kunden konnten sich ihr Traumhaus im Katalog aussuchen. Damals wurde es in Serie gebaut, heute ist das Degerlocher Holzhaus ein ganz besonderes Relikt.