Baden-Württemberg will in den kommenden zwei Jahren mehr Geld für die Künste investieren. Das freut die Künstler und das Publikum. Und trotzdem fragt man sich: Warum so plötzlich?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Es hört gar nicht mehr auf. Schon wieder kommt frohe Kunde aus dem Kunstministerium von Baden-Württemberg: Das Land erhöht die Förderung der Privattheater im Südwesten um jährlich 400 000 Euro. „Mit dieser dringend notwendigen Anpassung“, so teilte der Kunststaatssekretär Jürgen Walter (Grüne) am Freitag mit, solle „eine solide Grundfinanzierung“ sichergestellt werden. Denn: „Professionelle Privattheater sind vielerorts die Basis des Theaterlebens, besetzen kulturelle Nischen und bereichern mit bunten und teilweise unkonventionellen Ansätzen die Theaterlandschaft.“

 

Zunächst mal muss man feststellen: Der Mann hat recht. Die Bedeutung privaten Theaters hat er treffend umrissen. Und dem indirekten Eingeständnis, dass selbige trotzdem häufig nicht solide „grundfinanziert“ sind, ist auch nichts hinzuzufügen. So wie überhaupt die ganze kulturpolitische Richtung ja zu begrüßen ist, welche die grün-rote Landesregierung nun eingeschlagen hat. Vor zwei Wochen kündigte sie der Öffentlichkeit völlig überraschend ein 60-Millionen-Euro-Programm für die Haushaltsjahre 2015 und 2016 an und versah es auch gleich noch mit einer schönen Überschrift: „Investitionspaket Kultur“. Damals stellte Jürgen Walter fest: „Viele der wichtigsten Fragen unserer Zeit kann nur die Kunst beantworten. Aber dafür braucht es eine auskömmliche Finanzierung.“ Und wieder kann man nur sagen: Ja, ja, ja! Genau so ist es!

Die Bilanz des Kunstministeriums ist durchwachsen

Trotzdem reibt man sich ein wenig verwundert die Augen. Bis zur Verkündung besagten „Investitionspaketes“ war die Bilanz des von Ministerin Theresia Bauer und vom Staatssekretär Jürgen Walter grün geführten Ministeriums eher durchwachsen. Auch die überregionalen Medien registrierten recht erstaunt, dass im eigentlich doch so reichen Südwesten an den Musikhochschulen ganze Studiengänge zur Disposition standen (betrieben von der Landesregierung) und ein international renommiertes Rundfunkorchester weggekürzt wurde (Letzteres beschlossen vom SWR, aber hingenommen von der Landesregierung). Zur Erinnerung: bei den Musikhochschulen geht es um eine Einsparsumme von vier Millionen Euro jährlich, zum Weiterbetrieb des Sinfonieorchesters Baden-Baden/Freiburg wären zusätzlich elf Millionen Euro jährlich nötig gewesen.

Wenn nun also plötzlich pro Jahr 30 Millionen Euro unter den Kulturschaffenden neu verteilt werden und selbst der SPD-Fraktionsvorsitzende Claus Schmiedel dies begrüßt, muss doch noch ein wenig mehr dahinterstecken als nur Einsicht in die Finanznöte der Kulturszene, von denen man auch schon zuvor sichere Kunde hatte. Was steckt also eigentlich dahinter? Und im Gespräch mit Beglückern und Beglückten wird man da auch fündig.

Ein Teil fließt in den Ausgleich von Tarifsteigerungen

Punkt eins: Ja, natürlich hat es gerade die Grünen zutiefst gewurmt, dass ausgerechnet die von ihnen geführte Landesregierung deutschlandweit den Ruf errang, zu den Kulturverächtern und Kleinkrämern zu zählen. Dass selbst jene Kulturschaffenden in Stuttgart, Karlsruhe oder Freiburg, die ihnen politisch eigentlich nahe stehen, stirnrunzelnd feststellten, dass es kulturpolitisch unter CDU-Führung irgendwie schlüssiger zugegangen war. Klar, die bloße Zahl dieser Menschen wird zwar nicht die nächste Landtagswahl entscheiden. Aber sie können die Stimmung mitprägen. Deswegen hört man jetzt als neue Losung: „Bildung, Wissenschaft und Kultur sollen die Leitthemen im nächsten Wahlkampf werden.“ Und wie praktisch, dass die „Bildung“ dabei maßgeblich von der SPD verantwortet wird.

Substanziell noch wichtiger ist aber Punkt zwei – die Schwerpunkte, nach denen die zusätzlichen Mittel verteilt werden. 18 der 30 Millionen Euro pro Jahr gehen für den Ausgleich von Tarifsteigerungen drauf. Das klingt spröde, ist aber absolut nötig, will man nicht zusehen, wie durch die Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst die freien Programmmittel in den Etats von Jahr zu Jahr immer knapper werden.

Das Profil der Kulturpolitik bleibt im Nebel

Die verbleibenden zwölf Millionen (das eigentliche „Innovationspaket“) will das Kunstministerium sehr breit übers Land streuen. Schon jetzt sind über 60 Institutionen namentlich bekannt, die der Mittnachtbau in seiner Tabelle der besseren Übersicht halber in Kapitel sortiert: das Junge Ensemble Stuttgart und die Akademie Schloss Solitude fallen nun unter „Kulturelle Bildung und Interkultur“, das Freiburger Barockorchester und die Bachakademie unter „Musikland BW stärken“, Gauthier Dance und die Akademie für gesprochenes Wort noch allgemeiner unter „Vielfalt stärken“, die Freilichtspiele Schwäbisch Hall, das Theater Lindenhof und das Schwarzwaldmusikfestival schließlich unter „Ländlicher Raum“, gleich neben Isny-Oper und Volksschauspiele Ötigheim.

Mit „Innovation“, so scheint es, sind also hier weniger neue inhaltliche Konzepte oder Programme gemeint, sondern einfach Pflege und Ausbau einer zweifellos erfreulich breit gefächerten Kulturlandschaft – aber eben ohne Aussage, warum man nun das eine (die Bachakademie) beim Aufstocken (plus 60 000 Euro) für ungefähr ebenso wichtig erachtet wie das andere (plus 55 000 Euro für die Opernfestspiele in Heidenheim). Und auf Nachfrage wird zugegeben, für einige der jetzt schon fest versprochenen Zusatzmittel müssten die Begünstigten überhaupt erst mal ein schlüssiges Programmkonzept erarbeiten.

So liest man die jüngsten Kultur-Mitteilungen der Landesregierung mit einiger Freude – und wird doch den Eindruck nicht los, dass so etwas wie ein Profil grün-roter Kulturpolitik im Nebel bleibt. In Zeiten, da die Steuereinnahmen sprudeln, Geld an viele zu verteilen, ist keine Kunst (angesichts eines Anteil der Kulturausgaben am Gesamthaushalt von gerade mal 1 Prozent übrigens auch keine Verschwendung). Aber es kommen unter Garantie auch wieder andere Zeiten. Und wer bis dahin keinen Wegweiser hat, was über den bloßen Versorgungsgrad hinaus das Prädikat „Innovation“ in qualitativer Hinsicht ausmachen soll, der wird unweigerlich die nächsten großen Enttäuschungen produzieren. Ja, Kultur braucht Geld. Aber Kulturpolitik braucht Ziele und Ideen. Just hier traut sich Grün und Rot weiter nichts zu.