Kunstförderung hat nicht nur mit Geld zu tun. Diese Sichtweise setzt sich in Stuttgart mehr und mehr durch. Auf der Suche nach passenden Kunst- und Kulturräumen helfen künftig nicht mehr nur die Stadt und die Region, sondern auch ein spezialisiertes Online-Portal.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Vielleicht kommt „Plenty Empty“ für Christian Müllers Theaterprojekt ein bisschen zu spät. Im November will er anlässlich des Jahrestags der rechtsradikal motivierten Anschläge von Rostock-Lichtenhagen „ein Theaterstück in einer Neubauwohnung“ in Stuttgart aufführen. In welcher, weiß er noch nicht: „Wir sind am Recherchieren und Anfragen. Das ist in Stuttgart gar nicht so einfach“, sagt der ehemalige Regieassistent am Jungen Ensemble Stuttgart.

 

Ohne Raum keine Kunst – so einfach ist das. Kunstförderung, zumal jenseits der etablierten Institutionen, hat nicht nur mit Geld, sondern auch mit Räumen zu tun. Diese Sichtweise setzt sich in Stuttgart mehr und mehr durch. Und auch wenn Christian Müller für sein Theaterprojekt noch nicht fündig geworden ist: künftig sollen in der Landeshauptstadt weniger Kreative ohne Raum, kein Kunstprojekt mehr ohne Dach über dem Kopf – und kein Künstler mehr ohne Fläche unter den Füßen bleiben. Kulturelle Um- und Zwischennutzung für alle. Dafür sorgen die Stadt, die Region Stuttgart und künftig auch ein privates Projekt von sechs Stuttgarter Kreativen, die sich beim Theater kennengelernt haben.

Ein Onlineportal für Raumsuchende

Plenty Empty“ nennen die Macher ihre Internetseite, die von Oktober an eine Art Raumportal für Kunstschaffende und Kreative werden soll. „Das müssen keine perfekten Räume sein“, sagt Anja Abele, die das Portal mitinitiiert hat. Die Künstlerin hat an der Kunstakademie in Stuttgart studiert und denkt an „leerstehende Ladengeschäfte, alte Gewölbekeller, Räume mit Atmosphäre“ – oder auch an „diese Wand, die schöner werden soll; dieses Garagentor, auf dem sich Graffiti gut machen würde“. Solche Räume und Flächen sollen Anbieter auf Abeles Seite anbieten können und auch Gesuche werden angenommen. Über die Modalitäten der Nutzung müssten sich Anbieter und Künstler direkt einigen; „Plenty Empty“ versteht sich als reine Vermittlungsplattform.

„Kunst-Räume werden manchmal nur für wenige Tage benötigt“, sagt Anja Abele, „wir glauben, dass es diese Räume in Stuttgart gibt“. Das sei Konsens der sechs Beteiligten gewesen, als sie sich bei der Probe zur Lösch-Inszenierung von Camus’ „Die Gerechten“ in einer Diskussionsrunde kennenlernten. Den Gründern – darunter das Designstudio „We and Me“, die Kunsthandwerkerin Katrin Rollny und die Videokünstlerin Dilini C. Keethapongalan – geht es nach eigener Aussage um nichtkommerzielle Kunstförderung, um „Kulturidealismus“. Daher suchen sie nach Sponsoren und wollen sich um eine Förderung aus öffentlichen Mitteln bemühen.

Zwischennutzung ist en vogue

Die kulturelle Um- und Zwischennutzung ist in Stuttgart spätestens seit Utopia Parkway in der inzwischen abgerissenen Marienpassage sowie der Nutzung des Wilhelmspalais durch die Wagenhallen-Betreiber in Mode. Und sie war bisher zumindest teilweise eine Angelegenheit öffentlicher Stellen, nämlich bei der Stadt Stuttgart und bei der regionalen Wirtschaftsförderung. Auch hier werden Räume vermittelt – wenngleich mit einem anderen Fokus, als „Plenty Empty“ es nun vorhat.

Bei der städtischen Wirtschaftsförderung wurde eine Stelle für „Leerstands- und Zwischennutzungsmanagement“ geschaffen. Regine Zinz, die schon davor bei der Stadt in ähnlicher Funktion tätig war, will Räume vor allem für Designer, Architekten, Medienschaffende und sonstige typische Vertreter der Kreativwirtschaft vermitteln – „weniger für die freie Szene“, wie sie sagt. Allerdings liefen bei der Stadt auch von dort Anfragen ein. Derzeit werde nach einem Modus gesucht, wie die Verwaltung damit umgeht. Schließlich gibt es etwa im Kulturamt mit Gerd Dieterich einen eigenen Spezialisten für die Förderung von Off-Spaces.

Was Räume mit symbolischem Kapital zu tun haben

Die Raumvermittlung zähle – anders als die Hilfe bei der Suche nach Fördergeldern – allerdings nicht zu seinen festen Aufgaben, erklärt Dieterich. „Aber solche Projekte hängen immer mit dem Raum zusammen“, sagt der Kulturförderer. Die damit oft erst mögliche Sichtbarkeit der Projekte schaffe, frei nach Bourdieu, „symbolisches Kapital“, das den Künstlern auf ihrem weiteren Weg helfe. Will heißen: Wer erfolgreich ein temporäres Kunstprojekt auf die Beine stellt, der kriegt auch in der Folge Angebote und Beschäftigung.

Auch die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, sagt deren Sprecher Helmuth Haag, hilft mit ihren Kontakten und Informationskanälen, wenn jemand Räume für Kreative oder Künstler bereitstellen möchte. Zudem können entsprechende Räumlichkeiten auf dem Immobilienportal der Wirtschaftsförderung präsentiert werden. Allerdings dominieren dort Gewerbeimmobilien; Räume für Kunstprojekte sind über das Portal derzeit kaum zu finden. Die unmoderierte Mailingliste betacity versammelt zwar auch Raumangebote, daneben aber auch Projektausschreibungen und Kunsttermine für den Raum Stuttgart.

Die öffentlichen Stellen finden das neue Angebot gut

Auf ein reichhaltiges Angebot insbesondere für die kurzfristige Vermittlung von Räumen für Kunstprojekte hoffen die Macher von „Plenty Empty“. Stadt und Wirtschaftsförderung fürchten nicht, dass man sich damit ins Gehege kommt. „Das ist eine gute Ergänzung zu unseren Angeboten“, findet die städtische Zwischennutzungsmanagerin Regine Zinz.

Der Theaterregisseur Christian Müller kann also nur hoffen, dass es tatsächlich so viele Räume für Kunst gibt, wie die Initiatoren der Plattform es sich erhoffen. In seinem Fall: Neubauwohnungen. Womöglich hat seine Raumnot aber auch zu der Initiative beigetragen: sein geplantes Theaterstück „Lichtenhagen“ plant Müller gemeinsam mit der Co-Initiatorin Dilini C. Keethapongalan.