Medizin und Popkultur können voneinander lernen, sagt der Kulturforscher Arno Görgen im Interview. Ein Tagung in Ulm befasst sich am 11. und 12. September mit der Darstellung medizinischer Themen im Fernsehen und in Computerspielen.

Ulm - Immer mehr Fernsehregisseure und Spieleprogrammierer behelfen sich zur Dramatisierung ihrer Stoffe mit Medizinthemen, beobachtet Arno Görgen (36), Doktorand an der Ulmer Universität. Da wird oft munter gedichtet, zu viel Sachvertiefung knickt den Spannungsbogen. Aber bloß keine Empfindlichkeiten, rät Görgen dem Ärztefach: auch aus knalligen Szenen und abgedrehten Figuren könnten sich nützliche Schlüsse ziehen lassen.
Herr Görgen, es gab einmal eine Frankfurter „Tatort“-Ermittlerin namens Charlotte Sänger. Sie wohnte im Haus ihrer grausam ermordeten Eltern. In den Serienfolgen wurde die TV-Kommissarin bei der Arbeit immer wieder von Flashbacks überfallen – ein Zeichen für eine posttraumatische Belastungsstörung. Gefällt Ihnen so was?
Mir ist das schon zu nahe. Da bevorzuge ich einen überästhetisierten Film wie zum Beispiel Sin City. Mir ist wichtig, dass für mich selbst die Grenze zwischen Realität und Fiktion klar sichtbar bleibt. Bei Computerspielen, meinem Spezialfach, ist das ein bisschen anders, weil da alles auf einer mehr funktionalen Ebene abläuft. Da kann die fiktive posttraumatische Belastungsstörung einer Figur dem Spieler helfen, sich dem Charakter anzunähern, weil es ein Element aus der Realität ist.
Die Beziehungen zwischen Medizin und Popkultur haben Sie zum Gegenstand Ihrer Wissenschaftsarbeit gemacht und eine Fachtagung organisiert. Wer kann davon profitieren?
Es gibt durchaus Nutzungspotenziale. Im Zuge der Tagung habe ich schon Gesprächsanfragen von Spielefirmen bekommen. In der Branche herrscht vielfach das Bedürfnis, Computerspiele gut zu recherchieren. In der medizinischen Lehre wiederum können Filme und Spiele, die medizinische Grundkonflikte dramaturgisch verwenden, gut eingesetzt werden, um Medizinethik zu vermitteln. Man arbeitet schließlich mit Material, das die Studenten aus ihrem Alltag kennen.
Was war das für ein Konflikt, auf den Sie zum ersten Mal als Medienkonsument gestoßen sind?
Es war vor ein paar Jahren im Computerspiel „Fallout 3“. Da gibt es tatsächlich eine Szene mit einer Art Sterbehilfesituation. Ein mutierter Baummensch, der sich nicht mehr bewegen kann und Schmerzen leidet, bittet den Spieler, ihn umzubringen. Man hat dann verschiedene Auswahlmöglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen. Das war für mich wie ein Donnerschlag.
Und später haben Sie entdeckt, wie weit verbreitet Medizinthemen in Spielen, Filmen oder Comics sind?
Ich sehe mittlerweile überall die Sachen. Gerade in der Popkultur, das ist mein Gefühl, werden Bilder und Szenen aus der Medizinwelt zunehmend verarbeitet. Nehmen Sie nur mal das Genre der Zombies; es ist seit den 50-er Jahren zunehmend mit medizinischen Erklärungen plausibilisiert worden.
Arno Görgen hat die Tagung organisiert. Foto: Uni Ulm
Polizisten ärgern sich schon lange, dass sie in Serien oft als Tölpel dargestellt werden, Journalisten protestierten, sie müssten immer die korrupten, ärmlichen Kerle abgeben. Das Fernsehen, so die Kritik, schädige das Image des ganzen Berufsstandes. Treten diesem Chor jetzt die Ärzte bei?
Das medizinische Fach nimmt jedenfalls sehr genau wahr, was passiert. Vergleichen Sie nur einen Doktor Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik mit der Serienfigur Doctor House. Brinkmann ist noch der klassische Halbgott in Weiß, die Autorität, die durch die Gänge schwebt. Sein jüngerer Kollege House ist eher der gebrochene Antiheld, der mit ziemlich radikalen Mitteln seine Fälle löst.
Da blättert Lack von einem alten Image.
Ich glaube, es hat schon eine sehr starke Ernüchterung in der Darstellung des Arztes gegeben. Gerade im Film stellt man diesen Wandel sehr gut fest. Natürlich ist nicht jeder Arzt ein kaputtes, medikamentensüchtiges Wrack, aber für die Dramaturgie einer Serie kann so etwas natürlich spannend sein. Man muss allerdings wissen, dass hier nur ein neues Klischee das alte ersetzt.
Die Fachwelt muss das schlucken?
Im besten Fall lernt sie etwas. Solche Darstellungen, auch wenn sie überzeichnet und konstruiert sind, können ein wichtiges Element zur Selbstreflexion sein: Wie wird mein Fach wahrgenommen und wie könnte ich mich in Bezug darauf in der Öffentlichkeit bewegen?

Zweitägige Konferenz zum Thema

 

Zwei Tage dauert die am Donnerstag beginnende öffentliche Ulmer Tagung mit dem Titel „Medical Images and Medical Narratives in Late Modern Popular Culture“. Die wissenschaftlichen Forschungsfragen lauten: Wie werden medizinische Themen in Comics, Büchern, Filmen oder Computerspielen visualisiert? Wie kommen sie in populärwissenschaftlichen Formaten zum Ausdruck? Tagungsort ist die Ulmer Villa Eberhardt. Als Debattenbeispiele geben die Tagungsinitiatoren Polizisten vor, die in Computerspielen mit Posttraumatischen Belastungsstörungen auftreten, etwa den drogen- und alkoholsüchtigen Ex-Polizisten Max Payne im Computerspiel von Rockstar Games. Aber auch Medical Mangas oder gut recherchierte OP-Geschichten aus Arztromanen sind Vorlagen. Der Organisator
der Tagung, Arno Görgen, arbeitet seit 2009 am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin und am Zentrum Medizin und Gesellschaft der Uni Ulm. Seit November 2012 ist er Fellow des von der Baden-Württemberg-Stiftung und dem Deutschen Stifterverband ausgerichteten Fellowship-Programmes „Innovationen in der Hochschullehre“. Seine Forschungsschwerpunkte: Mediale Skandalisierung im Kinderschutz, Biomedizinische Diskurse in popkulturellen Medien, Geschichte der Urologie.