In den Bürgerkriegen im Nahen Osten und in Afrika werden auch große Kulturschätze zerstört. Der Berliner Museumschef Hermann Parzinger fordert mehr Schutz für das Welterbe.

Kultur: Tim Schleider (schl)
Stuttgart. - Kulturgut in Gefahr“: unter diesem Titel tagt seit Donnerstag im Auswärtigen Amt in Berlin eine internationale Konferenz. Experten aus den Bürgerkriegsgebieten im Nahen Osten und Afrika beraten mit deutschen Vertretern, wie archäologische Schätze gegen Raub und Zerstörung geschützt werden können. Einer der Veranstalter ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Deren Präsident Hermann Parzinger zählt zu den weltweit anerkanntesten Fachleuten bei diesem Thema – und ist selbst Archäologe.
Herr Professor Parzinger, könnte man Ihrer Tagung nicht Zynismus unterstellen, weil sie an den wirklichen akuten Nöten der Bürgerkriegsopfer und Flüchtlinge in aller Welt vorbeigeht? Sollte man nicht statt über „Kulturgut in Gefahr“ lieber erst einmal über „Menschen in Gefahr“ sprechen?
Natürlich geht es da, wo Bürgerkrieg herrscht, in erster Linie um das Leben und die Zukunft der Menschen. Da heißt es, humanitäre Hilfe zu leisten. Aber wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass in diesen Ländern auch ein Krieg gegen die Kultur stattfindet. Wenn von radikalen Gruppen Moscheen gesprengt werden, wenn islamische Heiligengräber zerstört werden, dann geht es den Terroristen dabei offenbar um die Zerstörung tief reichender kultureller Wurzeln. Gerade in einem Land wie dem Irak ist das Bewusstsein der großen, gemeinsamen Geschichte ein starkes, einigendes Band. Also: die internationale Politik muss um das Überleben der Menschen kämpfen, aber es geht immer auch schon um die Zeit danach. Und dabei spielt die Kultur eine wichtige Rolle.
Mit Verlaub, was kann aber eine Konferenz im friedlich-fernen Berlin da ausrichten?
Wir analysieren zunächst einmal die Situation in Krisenländern und haben Fachleute aus Syrien, dem Irak und aus Ägypten zu Gast, die berichten, was dort geschieht, um die Kulturgüter so gut wie möglich zu sichern. Wichtig ist ferner Bewusstseinsbildung vor Ort. Wenn Bewohner eines Dorfes sehen, dass Fremde mit Bulldozern archäologische Plätze in ihrer Nähe zerstören, dann sollten sie die Ordnungskräfte verständigen. Aber es geht auch um eine andere Wahrnehmung bei uns: Jeder, der heute antike Objekte ohne den Nachweis erwirbt, dass diese rechtmäßig aus dem Herkunftsland ausgeführt wurden, leistet so weiteren Raubgrabungen Vorschub.

Wieviel Raubkunst verschwindet für immer?

Sie sprechen hier über Raubgrabungen und den illegalen Handel von Kulturgütern. Fachleute vermuten, dass einzelne Bürgerkriegsparteien, womöglich sogar der Islamische Staat selbst, ihre Terroraktionen über den Verkauf von Kunstschätzen ins reiche westliche Ausland mitfinanzieren. Letztlich sprechen wir demnach über international organisierte Kriminalität?
Zweifellos handelt es sich um internationale Kriminalität. Deshalb wird auch Jürgen Ziercke, bis vor Kurzem der Präsident des Bundeskriminalamtes, an der Tagung teilnehmen. Ebenso wichtig ist aber auch die Einbeziehung des Kunsthandels in die Debatte. Es geht nicht darum, den Kunsthandel unter Generalverdacht zu stellen. Aber wenn heute mit archäologischen Objekten gehandelt wird, muss auch die rechtmäßige Provenienz jederzeit nachprüfbar sein. Ein solches Maß an Sensibilisierung sollten schließlich auch Sammler entwickeln. Sie müssen wissen: was ihnen an antiken Kulturschätzen zum Kauf angeboten wird, hier in Deutschland oder auf Reisen in fernen Ländern, das ist mit allergrößter Wahrscheinlichkeit entweder gefälscht oder geraubt. Deshalb erwerben die „Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz“ seit Jahren keine nennenswerten archäologischen Objekte mehr.
Was schätzen Sie, wie viel Raubkunst verschwindet derzeit international auf unabsehbare Zeit illegal in Privatbesitz?
Ich will mich nicht an Spekulationen beteiligen, ob hier tatsächlich Umsätze erzielt werden wie im internationalen Drogen- oder Waffenhandel. Entscheidend ist ja ohnehin der immaterielle Wert. Es geht um nichts Geringeres als um das kulturelle Erbe der Menschheit. Dieses aus seinem historischen Kontext herauszubrechen zerstört nicht nur Denkmäler, sondern zerstört ein wichtiges Stück Menschheitsgeschichte. Wir unterstützen die deutsche Politik in ihrem Bestreben, die gesetzlichen Grundlagen für eine Eindämmung illegalen Antikenhandels deutlich zu verbessern und zu verschärfen.