Die Calwer Passage in Stuttgart wird kreativ bespielt, das Cannstatter Projekt Contain’t fürchtet um seine Existenz und die Wagenhallen-Künstler können nun für immer am Inneren Nordbahnhof bleiben.

Stuttgart - Beim Thema Zwischennutzung liegen Freud und Leid manchmal ganz nah beieinander. In dieser Woche war das besonders gut zu beobachten. Am Montag verschickt Marco Trotta, Vorsitzender des Kulturvereins Contain’t, eine Nachricht mit dem Betreff „Kurz vor dem Aus“. Nur einen Tag später landet eine Mail von den Wagenhallen-Betreibern im Postfach, Betreff: „Für immer“. Und am Freitag wollen Kreative in die Calwer Passage einziehen und sie vorübergehend nutzen.

 

Während die Wagenhallen mitteilen, dass sie nun für immer am Inneren Nordbahnhof bleiben dürfen und ihre Räumlichkeiten sogar noch vergrößern werden, muss Contain’t wohl schon im November dieses Jahres auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände in Bad Cannstatt die Koffer packen. „Wir müssen gehen, obwohl wir noch nicht einmal richtig angefangen haben“, sagt Marco Trotta. Zwar sei von Anfang an klar gewesen, dass der Vertrag Ende des Jahres auslaufe, doch „uns hat man immer gesagt, das sei nur eine Formalie“, sagt Trotta. Das Amt für Liegenschaften und Wohnen, zuständig für die Verpachtung, möchte dazu noch keine Auskunft geben. „Das muss alles noch geklärt werden“, sagt der Leiter des Amtes Thomas Zügel. Für Mitte Mai sei ein Termin anberaumt, an dem alle für das Projekt zuständigen Ämter wie das Stadtplanungsamt und das Baurechtsamt sowie die Künstler selbst teilnehmen sollen.

Die Kulturschaffenden hoffen auf einen Termin im Rathaus

Seit knapp zwei Jahren befinden sich die Kulturschaffenden des Vereins schon auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände in Bad Cannstatt. Sie dürfen dort ihre Container, Waggons und Hütten aufbauen, darin arbeiten aber dürfen sie nicht, sagt Trotta. Auch Veranstaltungen durfte es dort bisher nur mit Sondergenehmigungen geben. Der Grund: der zweite Bauantrag, der die Nutzung und die Organisation von Veranstaltungen beinhaltet, ist noch nicht genehmigt. „Uns fehlen dafür noch Unterlagen“, sagt Rainer Grund, der stellvertretende Leiter des Baurechtsamtes. Das Lärmschutzgutachten sei zwar inzwischen nachgereicht, es erlaube Veranstaltungen – außerhalb des Betriebs auf dem Cannstatter Wasen –, andere Unterlagen aber fehlten noch. Das versteht Trotta, doch: „Wenn wir alles nachreichen, dauert es gewöhnlich Monate, bis wir den Bescheid bekommen, dann lohnt es sich kaum noch, den Betrieb aufzunehmen“, sagt er resigniert. Er hoffe nun auf den Termin im Rathaus, um doch noch starten zu können.

An anderen Orten geht es derweil schneller. In der Kulturniederlassung Südwest an der Türlenstraße sind schon zum zweiten Mal Kreative eingezogen. Bis das Quartier Ende 2014 abgerissen werden soll, herrscht dort Betrieb. Ebenso ist das Azenberg-Areal im Stuttgarter Norden dank eines Investors viele Monate bespielt worden. Mit Lesungen, Partys, Kunst und Kultur. Ende des Monats wird im Norden allerdings Schluss sein – wie angekündigt.

In den Läden ziehen Künstler ein

Dafür eröffnet Ende der Woche ein ganz neues Projekt. Von Freitag an werden zahlreiche Künstler und Stuttgarter Kunstinstitutionen für sechs Wochen die Calwer Passagen in der Innenstadt zwischennutzen. „Wir schaffen eine friedliche Koexistenz von Kunst und Ausverkauf“, sagt Demian Bern, einer der Kuratoren. Der Eigentümer hat den Mitgliedern der Initiative Freie unabhängige Künstler Stuttgart (Fuks) leer stehende Ladenräume kostenlos zur Verfügung gestellt. Neben Demian Bern zeichnen die Künstlerin Laura Bernhardt sowie die Kunsthistorikerin Antonia Schneemann für die Organisation verantwortlich. Schon seit Wochen kümmern sich die drei um ihr Projekt, dem sie den Namen „Just – Episoden in der Calwer Passage“ gegeben haben. In die Läden sollen Künstler ziehen, in jeder Projektwoche soll es Ausstellungseröffnungen geben. Auch Kunstinstitutionen werden in der Calwer Passage präsent sein, so wird etwa die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Seminare vom Killesberg ins Zentrum verlegen.

Die Kunst und ihre Akteure sollen raus aus den Institutionen und rein in die Stadt, das ist das Kredo der drei Kuratoren. „Das wird eine Konfrontation für die Bürger, aber auch für die Kreativen selbst“, sagt Laura Bernhardt. Sich bei der Arbeit zusehen zu lassen ist für viele ungewöhnlich. Und gerade das gefällt den drei Kuratoren so an dem Projekt, dass drum herum alles seinen normalen Gang geht, gegenüber weiter Zigarren oder Tee verkauft werden und obendrüber Menschen in ihren Wohnungen leben. „Sonst wäre das hier ein toter Ort“, sagt Laura Bernhardt. Die Kunst fügt sich also ein ins normale Leben der Stadt. Finanziert wird das Projekt unter anderem durch das Kulturamt der Stadt.

Die Künstler wollen wahrgenommen werden

Die Initiatoren wollen mit dem Projekt aber noch viel mehr als temporäre kulturelle Bespaßung: Auch wenn es in sechs Wochen physisch nicht mehr Bestandteil der Calwer Passagen sei, solle sich dadurch doch etwas nachhaltig verändern, so der hohe Anspruch. „So etwas kann eine Strahlkraft entwickeln und Signalwirkung haben“, sagt Demian Bern,, und damit vielleicht andere Projekte an anderen Orten ermöglichen. Wir zeigen, dass Räume benötigt werden.“ Mit Projekten wie „Just“ werde an der Wahrnehmung gearbeitet, Befürchtungen von Vermietern abgebaut. Solche Freiräume seien wichtig – in der Innenstadt genauso wie in Bad Cannstatt.

Auch bei der Kommunalwahl stehen kreative Freiräume auf der jeweiligen Agenda der Parteien. Am Freitag befasst sich eine Podiumsveranstaltung der noch recht frischen Interessenvertretung Clubkollektiv im Club Schocken mit dem Thema. Kandidaten der Fraktionen sollen dort von 18 Uhr an Rede und Antwort stehen.