70 Jahre ist es her, dass Ungarndeutsche aus Ungarn vertrieben wurden – und viele auch im Strohgäu eine neue Heimat fanden. Bei der Kulturtagung in Gerlingen ging es um Einzelschicksale.

Gerlingen - Es ist lange her, dass rund 200 000 Ungarndeutsche aus Ungarn vertrieben wurden. 70 Jahre, um genau zu sein. Viele kamen damals nach Gerlingen und in die Umgebung. Bei der diesjährigen Kulturtagung im Gerlinger Rathaus ging es am Samstag um die detaillierte Aufarbeitung von Einzelschicksalen.

 

Ungarn, im Jahr 1946: Nach Ende des Zweiten Weltkriegs unterstellte die neue ungarische Regierung den Deutschstämmigen im Land eine kollektive Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten. Wer bei einer Volkszählung im Jahr 1941 angegeben hatte, deutsch zu sein oder deutsch als Muttersprache zu sehen, wurde in Viehwaggons deportiert.

In Budaörs fing alles an

Der erste Transport verließ den Ort Budaörs bei Budapest. Mit dabei war auch die Familie von Maria B., um die es am Samstag in Gerlingen ging. Die Erkenntnisse aus dem Leben der wohl 1896 geborenen Frau stützen sich auf einen regen Briefwechsel zwischen ihr und dem Wissenschaftler Eugen von Bonomi. Im Fokus in Gerlingen stand dabei auch die Frage, wie sich die Sprache der Frau im Laufe der Zeit verändert hat. Viele Ungarndeutsche standen in ihrer neuen Heimat vor einer Sprachbarriere – auch viele, die am Samstag in Gerlingen dabei waren, haben bestätigt, dass Deutsch kaum in der Schule gelehrt wurde.

Auch um das Schicksal von Georg Richter ging es, der von den Nationalsozialisten zur Waffen-SS eingezogen worden und in sowjetische Gefangenschaft geraten war. Richter berichtet von fast einem Jahrzehnt der Inhaftierung in Arbeitslagern und Gefängnissen, zunächst in Russland, dann in Ungarn. Er prangert an, dass die „kommunistischen Verbrechen relativiert werden, solange der Nationalsozialismus als das absolut Böse gebrandmarkt wird“. Ob Nazis oder Kommunisten – Richter spricht von „denselben schlimmen Folterkellern“, was subjektiv stimmen mag. Auch in den Arbeitslagern der Sowjets seien viele Menschen umgekommen, sagt Richter.

Die Gegenwart ist kein Thema

Es geht in Gerlingen an diesem Vormittag strikt um die Vergangenheit; was damals geschehen ist wird anhand der Einzelschicksale minutiös aufgearbeitet. Um die gegenwärtigen Beziehungen von Ungarn und Deutschen oder aktuelle Flüchtlingsbewegungen geht es dabei nicht. Dass vor allem die Vergangenheit auch 70 Jahre nach der Vertreibung für viele Ungarndeutsche noch von hoher Bedeutung ist, erklärt Rudolf Fath. Der Landesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen spricht von den Narben, die zurückgeblieben sind und die „uns an den Schmerz des Heimatverlusts erinnern“. Diese Wunden könne man „nicht heilen, auch nicht mit der Zeit, der Schmerz bleibt“.

Das kollektive Erinnern mag dabei ein Trost sein – und die gelebte Tradition, die sich etwa in Tanzgruppen der Ungarndeutschen äußert. Und einmal im Jahr wird zum Bundesschwabenball geladen – der findet ebenfalls in Gerlingen statt.