Kritik an der Chefin wird im Schulbetrieb nicht überall gleich geahndet – das musste ein Professor am Lehrerseminar feststellen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein Prozess, der unter normalen Umständen kein großes Aufsehen erregen würde. Vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart wurde am Donnerstag die Klage eines Professors am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Berufliche Schulen) in Stuttgart verhandelt. Der Kläger wollte laut einer Gerichtssprecherin erreichen, dass ein Disziplinarverfahren gegen ihn gänzlich eingestellt wird. Nicht, wie geschehen, mit der Feststellung eines nicht schwerwiegenden Pflichtverstoßes, sondern mit einem „Freispruch erster Klasse“.

 

Bemerkenswert ist der Fall dennoch. Es geht um die Frage, wie viel Kritik sich Vorgesetzte von ihren Untergebenen gefallen lassen müssen. Und es geht – wohl nicht vor Gericht, aber übergeordnet betrachtet – darum, ob dabei überall der gleiche Maßstab angelegt wird. Gewisse Zweifel scheinen da angebracht, vor allem beim Vergleich mit einem äußerst ähnlich gelagerten Vorgang. Gegen den Professor wurde die ganze Maschinerie der Schulverwaltung in Gang gesetzt, weil er sich despektierlich über seine Chefin, die Seminardirektorin Veronika Gulde, geäußert haben soll. Monatelang war er im Visier der Schulabteilung am Regierungspräsidium Stuttgart, musste sich gegen eine Fülle von Einzelvorwürfen wehren und anwaltliche Unterstützung in Anspruch nehmen.

Abrechnung per Weihnachtsbrief

Ganz anders erlebte jener Spitzenbeamter im Kultusministerium seinen Dienstherrn, zu dessen Bereich die Lehrerfortbildung gehört: der Ministerialdirigent Manfred Hahl. Auch Hahl hatte sich despektierlich über seine Chefin geäußert, die Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) – und das nicht nur wie der Professor intern, sondern auf eine Weise, dass es öffentlich werden musste. Per Weihnachtsbrief an seine Abteilung hatte er unerbittlich mit der neuen Ressortchefin abgerechnet (die StZ berichtete). Der Wechsel werde im Haus „weniger als Aufbruch als vielmehr als Abbruch wahrgenommen“. Man habe es mit einer „bis ins Mark misstrauischen Amtsleitung“ zu tun, „Verluste an Professionalität, an Transparenz und beim Betriebsklima“ seien zu beklagen. Doch von einem Disziplinarverfahren gegen den Abteilungschef ist bisher nichts bekannt geworden; Auskünfte dazu darf die Pressestelle, aus Gründen des Datenschutzes, nicht geben.

Warminski-Leitheußer selbst berichtete auf StZ-Anfrage, es habe „keine negativen Konsequenzen für Herrn Hahl“ gegeben. Dessen Vorgehen sei „sicher nicht fachlich korrekt“ gewesen. Aber ihr komme es nicht auf eine Ahndung an, sondern auf eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit. Sie habe das Schreiben des Ministerialdirigenten „als eine Art Hilferuf verstanden“, dass die Fachabteilung stärker eingebunden werden wolle. Darüber habe man sich inzwischen ausgesprochen und somit eine „gute Basis“ für den weiteren Dialog gelegt. Insgesamt bemühe sie sich heute, mehr mit ihren Leuten zu reden, resümierte die Ministerin.

Das Gebot der Mäßigung verletzt?

Von so viel Nachsicht kann der Professor am Lehrerseminar nur träumen. Auch er hatte den Führungsstil seiner Vorgesetzten kritisiert, über Mobbing durch sie geklagt und ihr empfohlen, doch wieder einmal selbst zu unterrichten; dann könne sie die Lehrtätigkeit besser wertschätzen. Die Mails gingen per Kopie auch an Kollegen, vor allem aber an die Kritisierte direkt – so wie es sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach eigenem Bekunden im Fall Hahl gewünscht hätte. Die Reaktion per Disziplinarverfahren war höchst ungnädig: der Rahmen der berechtigten Kritik sei überschritten, es fehle am zu erwartenden Respekt, das Gebot der Mäßigung sei verletzt. Am Ende betrachtete die Behörde ein Dienstvergehen als nachgewiesen, doch das Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt – übrigens zu Lasten der Landeskasse.

Die Stellungnahme der Seminardirektorin Gulde klingt nicht ganz so verständnisvoll wie die der Ministerin: Mit den meisten der 140 Lehrbeauftragten bestehe ein harmonisches, sachliches Miteinander. Dass bei so vielen Mitarbeitern „Einzelne mit Entscheidungen unzufrieden sind, lässt sich nicht immer vermeiden“.