US-Kampfjets haben in Kundus in der Nacht auf Samstag versehentlich ein Krankenhaus bombardiert – mindestens 22 Menschen sind dabei getötet worden. Ärzte ohne Grenzen verurteilen den Angriff auf die Klinik scharf – und ziehen sich aus Kundus zurück.

Kabul/Genf - Der Bombenangriff auf eine Klinik von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Afghanistan sorgt weltweit für Entsetzen und bringt dem US-Militär harsche Kritik ein. Nach neuesten Angaben kamen bei dem Unglück am Samstag mindestens 22 Menschen ums Leben. Der Präsident der Hilfsorganisation, Meinie Nicolai, sprach von einem „schweren Bruch des Völkerrechts“ und forderte eine unabhängige Untersuchung. Die Hilfsorganisation wies Vorwürfe zurück, islamistische Taliban hätten in der Klinik Unterschlupf gefunden.

 

Die US-Luftwaffe hatte die Klinik in der Nacht zum Samstag offensichtlich aus Versehen bombardiert. US-Präsident Barack Obama beklagte eine „Tragödie“, sprach den Opfern sein Beileid aus und versprach Aufklärung.

Seit dem überraschenden Taliban-Angriff auf die nordafghanische Stadt Kundus am Montag versuchen Regierungstruppen mit Hilfe der Nato, die Stadt wieder komplett unter Kontrolle zu bekommen.

Aus Sicht von Ärzte ohne Grenzen steht außer Zweifel, dass die US-geführte Militärkoalition die Klinik bombardiert hat, wo sich nachts 105 Patienten, Angehörige und gut 80 Mitarbeiter aufhielten. Die Bilanz: Mindestens 22 Tote, darunter drei Kinder. Mehrere Patienten verbrannten in ihren Betten. Hinzu kommen 37 Verletzte.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon drang auf eine rasche, umfassende und unvoreingenommene Untersuchung. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg drückte seine Bestürzung aus.

Geodaten der Klinik wurden vorsorglich übermittelt

Der Nato-Sprecher in Afghanistan, Sernando Estreooa, erklärte, US-Streitkräfte hätten zur fraglichen Zeit einen Luftangriff nahe der Klinik durchgeführt. Dort hätten einzelne Personen die Truppen bedroht. Der Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan, Brian Tribus, räumte ein, dabei könnte versehentlich die medizinische Einrichtung getroffen worden sein. Der Vorfall werde untersucht, mit ersten Ergebnissen sei in wenigen Tagen zu rechnen.

Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen wurden allen Konfliktparteien die genauen Geodaten ihrer Einrichtungen vorsorglich mehrfach übermittelt, zuletzt am 29. September. Nach Beginn des nächtlichen Angriffs habe man zudem das amerikanische und afghanische Militär erneut kontaktiert; dennoch habe das Bombardement noch mehr als 30 Minuten angehalten.

Von 2.08 bis 3.15 Uhr Ortszeit sei die Klinik in Intervallen von etwa 15 Minuten bombardiert worden. Das zentrale Krankenhausgebäude mit Intensivstation und Notfallräumen sei wiederholt „sehr präzise“ getroffen worden. „Gleichzeitig blieben umliegende Gebäude fast unberührt“, erklärte die Hilfsorganisation weiter, ohne daraus konkrete Schlussfolgerungen abzuleiten.

Wie es mit der Klinik weitergeht, ist unklar

Nach dem Luftangriff zog sich Ärzte ohne Grenzen aus Kundus zurück. Die Klinik sei „nicht mehr funktionsfähig“, sagte Sprecherin Kate Stegeman am Sonntag. MSF-Mitarbeiter würden nicht mehr in dem Gebäude arbeiten. Alle Patienten seien an Gesundheitseinrichtungen in die Stadt Pul-e-Chumri in der Nachbarprovinz oder in die Hauptstadt Kabul verwiesen worden. Ob die Klinik wiedereröffnet werde, sei unklar.

Die Klinik wurde ausschließlich aus Spenden finanziert und bot kostenlose Hilfe für Unfall- und Kriegsopfer an – unabhängig von Herkunft oder Religion und auch für verwundete Taliban. Die Organisation, die seit 1980 in Afghanistan arbeitet, bestritt aber energisch Vorwürfe des afghanischen Verteidigungsministeriums, Taliban-Kämpfer hätten die Klinik als Unterschlupf genutzt.

Außer Mitarbeitern und Patienten sei niemand in der Klinik gewesen, erklärte die Organisation. „In keinem Fall kann die Bombardierung eines funktionierenden Krankenhauses gerechtfertigt sein“, hieß es. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid sagte: „Keiner unserer Kämpfer war zum Zeitpunkt des Angriffs ein Patient der Klinik.“

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) nannte die Gewalt gegen Patienten und medizinische Mitarbeiter erschreckend. Derartige Angriffe beeinträchtigten die Möglichkeiten von humanitären Organisationen, den Menschen in Afghanistan dringend benötigte Hilfe zukommen zu lassen, sagte der Chef des internationalen Roten Kreuzes in Afghanistan, Jean-Nicolas Marti. Auch er forderte alle Konfliktparteien auf, die Sicherheit von Zivilisten und Hilfskräften zu achten.