Im Schweinestall, auf dem Heuboden und in der guten Stube stapeln sich die Gemälde, die der Waiblinger Künstler Jan F. Welker in seinem Atelier in einem betagten Bauernhaus im Ortsteil Neustadt malt.

Waiblingen - Bilder, wohin man auch schaut: Im alten Bauernhaus in Waiblingen-Neustadt lehnen sie in mehreren Schichten übereinander an der Scheunenwand, sie hängen auf dem Heuboden, quetschen sich in die Abstellkammer, stapeln sich im ehemaligen Schweinestall und in der Küche, deren Boden mit Farbklecksen übersät ist. Knalliges Rot, kräftiges Orange, leuchtendes Ultramarinblau neben gedeckten Farben – Schwarz, Grau, Weiß. „Das Haus ist ein Gesamtkunstwerk“, sagt der Kunstmaler Jan F. Welker über das betagte Gebäude im Neustädter Ortskern, das er seit 1996 als Atelier angemietet hat.

 

Hier, in der Hinteren Gasse, reihen sich die Häuschen so dicht aneinander, dass sie wie eine einzige, lange Hausfront wirken. Keine Vorgärten, nur Pflastersteine. Doch wer durch den Schweinstall und auf die rückwärtige Seite des Gebäudes Nummer 6 tritt, erblickt unerwartet eine grüne Idylle: Wiesen und Bäume, ganz unten die Rems, die sich im Tal entlang schlängelt, schräg gegenüber die Häuser von Hegnach.

Im Keller lagert Jan F. Welkers Vermieter noch seine Kartoffeln. Im einstigen Kuhstall hat der 50-jährige Maler, ein gebürtiger Hamburger, seine Werkstatt eingerichtet. Dort fertigt er bei Bedarf selbst Rahmen für seine Gemälde an, schließlich hat er als junger Mann eine Schreinerlehre gemacht. Im Zuge seiner Ausbildung zum Restaurator, die er im Anschluss an seine Lehre begonnen hat, ist Jan F. Welker zum Zeichnen gekommen. Er hat es sich wie das Malen Strich für Strich selbst beigebracht.

Jan F. Welker ist Autodidakt Foto: Stoppel
Welker steigt die steile Treppe hinauf ins ehemalige Wohnzimmer des Bauernhauses. Dort oben, in der von Tageslicht durchfluteten und beheizbaren guten Stube, entstehen seine Bilder. Im Vorbeigehen zeigt er in die Abstellkammer. „Meine Altlasten“, sagt er und zieht einige seiner frühen Arbeiten hervor. Ein Stillleben mit Obstschale und Hummer, realistische Landschaftsbilder aus dem Hessischen, eine Kopie von Albrecht Dürers berühmtem Feldhasen. Alles Anschauungsmaterial für die Zweifler unter seinen Besuchern. „Wenn ich die Bilder raushole, sagen sie: ,Aha, der kann also doch malen’“, erzählt Welker und grinst. Handwerk sei wichtig, beteuert der Autodidakt, der eine Vorliebe für große Formate hat, weil sie seiner Ansicht nach besser wirken. „Wenn mir einer sagt, ich brauche einen Baselitz, dann mache ich ihm einen.“

Seit mehr als 20 Jahren ist Jan F. Welker freischaffender Künstler. Er ernährt seine Familie – seine Frau und die drei Töchter – ausschließlich durch den Verkauf seiner Bilder. Vor fast genau so langer Zeit hat er auch damit begonnen, seine Arbeiten zu verleihen. Für einen Betrag, der etwa zwölf Prozent des Verkaufspreises entspricht, bringt er das oder die Gemälde in Firmenräume oder Privathaushalte, wo sie ein Jahr lang hängen. Derzeit sind etwa 40 seiner Leasingbilder im Umlauf. Einen Platz in Kunstmuseen zu ergattern, sei hingegen schwierig, bedauert Jan F. Welker. Im knallharten Kunstbusiness gelte die Regel: „Bis zum Alter von 30 Jahren muss man in den öffentlichen Sammlungen hängen, sonst hat man keine Chance mehr.“

Realistische Bilder wie zur Anfangszeit malt der 50-Jährige, der sich als „Künstler zum Anfassen“ bezeichnet, nur noch selten. Auf seiner Internetseite liest sich sein künstlerischer Werdegang so: „Entwicklung von konkreter Darstellung zu reduzierter Figürlichkeit, gekennzeichnet durch eine gestisch expressive Malweise.“ Auftragsarbeiten sind eine wichtige Einnahmequelle für Welker – meistens handelt es sich dabei um Porträts. Eltern wollen ihre Kinder auf Leinwand bannen lassen, Freunde schenken dem Geburtstagskind zum Fünfzigsten ein Bild von sich oder dem Lieblingsauto. Diese Porträts, sagt Welker, seien keine Momentaufnahmen wie Fotos. Sie sollten eine Ahnung vom jeweils porträtierten Menschen wiedergeben, sein Inneres auf das Äußere spiegeln.

Fotografien kommen bei Jan F. Welker dennoch zum Einsatz. Im Atelier mit den bunt gesprenkelten Wänden und den Gläsern, in denen der Künstler seine Farben aus Pigmentpulver anrührt, steht ein Rechner, auf dessen Monitor Welker Fotos der zu Porträtierenden betrachten kann. Kaum jemand hat heute Zeit, Modell zu sitzen.

In seinen freien Arbeiten verarbeitet Jan F. Welker „alles, was auf mich einströmt“. Fröhlich-dynamische Bilder der Töchter sind darunter, aber auch Eindrücke aus Zeitungen, Fernsehen und Radio. Kein Wunder, dass düstere Themen eine große Rolle spielen. Fukushima oder 9/11, die russische Punkband Pussy Riot oder das KZ Birkenau – Welker serviert Verstörendes oft ästhetisch verpackt. Erst auf den zweiten, dritten Blick und mithilfe des Titels offenbart sich dem Betrachter, worum es wirklich geht. „Ein gutes Bild hat im schönsten Fall ein Geheimnis und regt zum Nachdenken an.“ Kann Kunst etwas bewirken? Die Frage beantwortet Welker so: „Kunst bewegt die Menschen und die bewegen die Welt.“