Weg mit Design und Demokratie? Performance-Künstler Jonathan Meese diskutiert an der Hochschule in Pforzheim nicht nur über Gestaltungsfragen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Pforzheim - Tier müsste man sein. Tiere machen den lieben langen Tag nichts anderes als Kunst. Schlafen ist Kunst. Auch Liebe ist Kunst, meint Jonathan Meese und beneidet die Tiere, weil sie keine Kirchen und keine Politiker haben. „Das brauchen sie nicht, sie sind stärker als wir.“ Wenn es nach Jonathan Meese ginge, gehörte all das abgeschafft, was selbstverständlich erscheint: Kirchen, Parteien, Politiker. Und gleich noch die Demokratie. Demokratie, sagt der Künstler, ist die „Lehre des optimierten Mittelmaßes“. Mehr noch: „Die Demokratie hat Gehirnwaschanlagen gebaut.“

 

So kennt man Jonathan Meese, immer dagegen. „Schalksnarr“ und „Prahlhans“ hat ihn die Presse schon geschimpft, „Muttersöhnchen“ und „Wirrkopf“. Nun war der Mann, den man auch schon vor Gericht vergeblich versuchte zu zähmen, in Pforzheim zu Gast. In der Fakultät für Gestaltung sprach Meese mit Robert Eikmeyer über Kunst und Design. Eikmeyer unterrichtet in Pforzheim Kunstwissenschaft, begleitet Meese seit vielen Jahren und hat dessen „Ausgewählte Schriften zur Diktatur der Kunst“ in der Edition Suhrkamp herausgegeben. Wobei das 650 Seiten starke Opus vermutlich nicht mal jene Rezensenten komplett gelesen haben, die sich über Meeses Hauptthese mokieren, dass die Demokratie der Erlösung durch die Kunst im Weg stehe.

Meese begreift sich selbst als Kunstfigur

Im hoffnungslos überfüllten Hörsaal in Pforzheim zeigte sich Meese nun keineswegs als Wirrkopf, sondern als durchaus angenehmer, ernsthafter Weltverbesserer, der mit Stofftasche auf die Bühne kommt und natürlich der obligatorischen Adidas-Trainingsjacke samt schwarzer Cordhose, langen Haaren und Zottelbart. Das ist nicht Design, sondern sei seine Uniform, so Meese, der sich selbst als Kunstfigur begreift. Immer im Einsatz, das Leben als Dauerperformance.

Mit Leidenschaft und der Überzeugungskraft eines amerikanischen Predigers, der sich immer wieder aufgeregt in Fahrt redet, trägt Jonathan Meese erst einmal eines seiner zahllosen Manifeste vor, diesmal das Pforzheimer Manifest zum Thema Kunst und Design: Design ist für ihn Seelenfängerei. Der Künstler spricht von „Designgehirnen und Designstaatssystemen und Designgütern, die sich in unsere Gehirne eingebrannt haben“.

Da konnte sich der Moderator Robert Eikmeyer noch so die Zähne ausbeißen: Er verwies auf diverse kunstwissenschaftliche Ansätze, sprach von Antidesign, dem Design der Zukunft und sagte: „Es gibt keine Milch ohne Verpackung.“ Aber Meese meint mit Design nicht die gut gestaltete Teekanne. „Ich habe auch nichts gegen einen superdesignten Sessel.“ Design ist eher Synonym für eine Lebenshaltung, einen gesellschaftlichen Zustand, ist Inbegriff für unsere Zeit, in der, so Meese, im Grund nichts mehr vor und zurück geht, weil alles in den immer gleichen Debatten erstarre. Ob linke oder rechte Politik, „alles ist Livestyle“, sagt Meese und ist überzeugt, dass man Ideologien nicht mit anderen Ideologien bekämpfen könne.

Beifall für radikale Verweigerung

In Pforzheim erntete er Beifall für seine radikale Verweigerungshaltung. Während viele seiner Künstlerkollegen nur den Zeitgeist bedienten und meinten, ideologisch auf der richtigen Seite zu stehen, ist für Meese klar: Er beteiligt sich nicht am „Gesellschaftsdesign“ und wird sich zu keiner Haltung bekennen. „Denn ob man für oder gegen etwas demonstriert, ist das Gleiche“, sagt er und fordert, das System von Grund auf zu zerstören, nur dann lasse sich Zukunft gestalten. Diese konsequente Destruktion ist freilich eher als Denkfigur zu begreifen – und fernab jeder Realisierbarkeit. Aber Meese ist eben nicht Politiker oder Philosoph, sondern Künstler, der den Stachel setzt und sich nicht scheren muss, was der Abschied von allen Ideologien und die Alleinherrschaft der Kunst in aller Konsequenz bedeuten könnten.

In einer langen Diskussion versuchten die Studenten der Pforzheimer Hochschule, Jonathan Meese zu überführen, ihn mit spitzfindigen Fragen in die Enge zu treiben, aber ganz so leicht ist es nicht, sein durchaus konsistentes Denkmodell auszuhebeln. Jonathan Meese versteht es, stringent seine Utopie von der Herrschaft der Kunst zu vertreten, eloquent vermag er alle Anwürfe zu kontern.

Bayreuth wollte er entheiligen

Im internationalen Kunstbetrieb scheint der Provokateur allerdings nicht mehr den Widerhall zu finden, den er noch vor ein paar Jahren genoss. Es ist ruhiger geworden um den 46-Jährigen. 2013 hatte er einen Auftritt auf den Mannheimer Schillertagen mit seinem Einmannstück „Generaltanz den Erzschiller“, bei dem er unablässig den Arm zum Hitlergruß reckte – aus „Scham über die deutsche Vergangenheit“, wie er erklärt, und weil er auch zeigen will, dass die Ideologie nicht in einer Geste, nicht in einem Symbol oder Ding steckt, sondern in den Köpfen.

Bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth hätte Jonathan Meese in diesem Sommer den „Parsifal“ inszenieren und ausstatten sollen – aber wurde doch wieder rausgeworfen. Begründung: zu hohe Kosten. Er liebe Wagner, sagt Jonathan Meese, aber man habe bei den Festspielen wohl gespürt, dass er Bayreuth entideologisieren wolle, es entheiligen. „Das haben die gerochen und gesagt: Der Typ muss weg.“ Man merkt, dass der Künstler diesen Rausschmiss immer noch nicht ganz verwunden hat. „Ich dachte, die wollen den Umbruch, das hab’ ich echt gedacht.“

Seinem Pforzheimer Publikum gab Meese mit auf den Weg: „Mach einfach mal nicht mit, das ist die Zukunft.“ Nicht Ideologien folgen, sondern handeln, am besten mit Liebe. Und während mancher noch überlegt haben mochte, wie sich dieses Plädoyer konkret auf die eigene Arbeit als angehender Schmuck-, Produkt- oder Modedesigner übertragen lässt, nutzte einer die Gunst der Stunde und schlug Meese ein Tauschgeschäft vor. Er wolle ihm etwas schenken, so der junge Mann und übergab Meese einen Kunststoffschlauch, in den er sein eigenes Blut gefüllt hatte. Worauf Meese beherzt seine Socken auszog und weiterreichte mit den Worten: „Die hat meine Mama gewaschen.“