Sie liebt die Fremde wie auch die Heimat am Bodensee: Die Künstlerin Andrea Zaumseil hat den Hans-Thoma-Preis des Landes Baden-Württemberg erhalten.

Bernau - Ich habe am Anfang sogar ausschließlich figürlich gearbeitet.“ Mit Andrea Zaumseil und Johannes Honeck von der Kunsthalle Baden-Baden, der die aus Berlin angereiste Künstlerin für die Dauer ihres Aufenthalts im Badischen betreut, sitzen wir bei Bilderbuchwetter und himmlischer Ruhe vor dem „Rössle“ in Bernau, mitten in der hoch gelegenen, von Hügeln und Bergen umrandeten dörflichen Schwarzwaldidylle. Heiß ist es schon, und doch immer noch ein paar Grad kühler als unten im Tal und in der Rheinebene.

 

Schräg gegenüber, im Rathausgebäude, in dem auf zwei Etagen das Hans-Thoma-Kunstmuseum residiert, hat Andrea Zaumseil aus der Hand des Kunststaatssekretärs Jürgen Walter den Hans-Thoma-Preis für Bildende Künste 2015 des Landes Baden-Württemberg entgegengenommen. Mit der Auszeichnung verbunden ist eine Ausstellung im großen Saal des Museums. Zuvor war Gelegenheit, die Künstlerin beim Aufbau im Museum zu beobachten.

Angesprochen auf die fast völlige Abwesenheit von Lebewesen – Mensch oder Tier – in ihren Zeichnungen und Skulpturen, erinnert sich Andrea Zaumseil an ihre Akademiezeit in Stuttgart, die frühe, figürliche Phase. Nach einigen Semestern Germanistik und Geschichte an der Universität Konstanz hatte sie in Stuttgart 1979 begonnen, Bildhauerei zu studieren. Das geisteswissenschaftliche Studium möchte sie nicht missen, doch am Ende war es ihr „zu theoretisch“, wie sie sagt. „Das eigene Machen hat mir gefehlt.“

In den zwanzig Jahren, in denen sie jetzt in Berlin lebt, sind die Kontakte nach Stuttgart lebendig geblieben. So hat sie mit ihrer Bildhauerklasse mehrere Projekte mit der Klasse des Stuttgarter Kollegen Werner Pokorny realisiert, auch er Träger des Thoma-Preises. Ohnehin reicht das Netzwerk der Landes bis in die Bundeshauptstadt, in der Andrea Zaumseil ihren ersten Wohnsitz hat, auch wenn ihr Arbeitsplatz seit 2003 die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle ist, wo sie eine Professur für Bildhauerei innehat.

Andrea Zaumseil ist gern im Süden – Ende August ist sie, nebenbei, noch einmal da. Anlass ist eine Ausstellung im Kunstverein Wilhelmshöhe in Ettlingen mit Zeichnungen sowie mehreren Plastiken, von denen im Thoma-Museum nur eine einzige geboten wird. 1957 in Überlingen geboren, hat sich die emotionale Beziehung zur Bodenseeregion und zum „Ländle“ bruchlos bis in die Gegenwart erhalten. Ihr „Heimweh“ – ja, sie verwendet das Wort! – habe „mit der Landschaft zu tun, dem See; den Eltern, die nicht mehr leben“. Mit der Sprache auch, dem „Klang der Wörter, die ich nicht mehr benutze, all diesen sinnlichen Dingen“, bis hin zur Speisekarte. „Kirschenplotzer, zum Beispiel.“

Daneben treibt Fernweh sie um – eine Dialektik, wie sie in ihrer Kunst womöglich in gewandelter Form in der Präsenz von Spannungen und Gegensätzen wiederkehrt. In ihrer Eigenschaft als akademische Lehrerin hat sie, nicht nur im Rahmen von Austauschprojekten ihrer Bildhauerklasse mit den Kunstakademien in Havanna und Istanbul, reichlich Gelegenheit, der Lust auf die Ferne, das Neue, die Fremde zu frönen. Das Engagement, das Andrea Zaumseil in der Lehre einbringt, war für die Jury mit ein Grund, ihr den Preis zuzuerkennen.

Andrea Zaumseil ist in erster Linie Bildhauerin, oder besser: sie war es. Denn in den vergangenen Jahren hat sie sich verstärkt der Zeichnung zugewandt, der sie sich jetzt fast ausschließlich widmet. Die schwere Arbeit mit den Stahlplastiken ist der eher schmächtigen und zart wirkenden Künstlerin in letzter Zeit zu anstrengend geworden, auch wenn sie betont, dass sie sicher wieder plastisch arbeiten werde. Momentan liebt Andrea Zaumseil die Intimität des Zeichnens. Das „Alleinsein mit der Arbeit“, die „Reduktion der Mittel“, die „unglaublichen Möglichkeiten“, imaginäre Welten jenseits der Schwerkraft und der Begrenzungen durch das Physische zu schaffen.

Die im Museum ausgestellten Zeichnungen in schwarzer Pastellkreide haben – teils in stark veränderter, verfremdeter, abstrahierter Form – Sujets wie Landschaften und Baumrinden; Rauchwolken auch, wie sie bei Vulkanausbrüchen entstehen. Vielleicht wäre es nicht ganz falsch zu sagen, sie zeigten in der Summe das Antlitz der Erde (wie sie es fotografisch etwa in Luftaufnahmen über dem Himalaja festhielt): in Analogie zum Antlitz der Mutter, das eine Zeichnungsserie in realistischer Bildsprache motivierte. Neben Blättern mit Augenpartien der Eltern sind das fast ihre einzigen figürlichen Schöpfungen.

Oder muss man manche Stahlplastiken dazuzählen? Das Ballett der vier monumentalen Kreisel etwa, die in tänzerischer Bewegung den Platz vor dem Freiburger Konzerthaus mit Atmosphäre und Leben erfüllen, ja ihn als Platz, oder besser als Übergangs-, als Transitraum, wie sie empfindet, überhaupt erst erlebbar machen?

Ausstellung bis 20. September, Hans-Thoma-Museum, Rathausstraße 18, Bernau, Mi–Fr 10.30–12, 14–17 Uhr, Sa, So 11.30–17 Uhr.