Der Künstler hat einen berühmten Altar für Herrenberg geschaffen und wurde für seine Teilnahme am Bauernkrieg gevierteilt. Bald erinnert ein Pfad an sein Leben und Werk.

Herrenberg - Wer in den vergangenen Monaten vom Herrenberger Bahnhof Richtung Altstadt gelaufen ist, mag sich über seltsame Skulpturen gewundert haben. Wie Pilze sind sie am Straßenrand aufgetaucht: in der Bahnhofstraße ein Kopf aus Draht und einen geborstener Obelisken, zu dem Granitplatten führen; vor dem alten Rathaus ein Stein, durchbohrt von roten Stiften; schließlich, vor drei Monaten, ein meterhoher Altar aus Stahl und Glas hinter dem Herrenberger Wahrzeichen, der Stiftskirche.

 

Seit Kurzem klären provisorische Papiertafeln darüber auf, dass all diese Kunstwerke zum Jerg-Ratgeb-Skulpturenpfad gehören. Dieser soll Anfang Mai eingeweiht werden. Dann sollen entlang einer Route vom Herrenberger Bahnhof durch die Altstadt zur Stiftskirche 24 Werke von zeitgenössischen Künstlern den Pfad säumen.

Rat verkaufte Ratgeb-Alter für 5000 Mark nach Stuttgart

Initiiert wurde der Kunstpfad maßgeblich von Helge Bathelt, der jahrzehntelang die Volkshochschule in Herrenberg geleitet hat und in der Kunstszene hervorragend vernetzt ist. Die Kunst Jerg Ratgebs fasziniert Helge Bathelt seit Langem. Der Maler wurde etwa 1470 in Schwäbisch Gmünd geboren und ist für seine Kirchenkunst bekannt. Zu Ratgebs Hauptwerken gehört der Herrenberger Altar, den Kunstkenner für seine leuchtenden Farben und seine Ausdrucksstärke schätzen. In Herrenberg befindet sich das Kunstwerk allerdings schon lange nicht mehr: 1890 verkaufte der Stadtrat es für 5000 Mark nach Stuttgart, heute hängt es in der Staatsgalerie.

Ratgeb fasziniert viele aber nicht nur wegen seiner Kunst, sondern auch, weil er sich im Bauernkrieg von 1525 den Aufständischen anschloss. Nach der Niederschlagung der Bauern wurde der Künstler grausam bestraft: vier Pferde rissen in Pforzheim 1526 seinen Körper auseinander. Bathelt hat sich schon lange daran gestört, dass der Künstler in Herrenberg seiner Ansicht nach nicht ausreichend gewürdigt wird. „Nach Hindenburg ist eine Straße benannt, nach Ratgeb nicht“, bedauert er.

Konzeptkünstler Ulrichs schenkte der Stadt drei Zelte

Der Skulpturenpfad soll im Herzen Herrenbergs an das Erbe des Künstlers erinnern und ein Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen werden. 16 Werke sind bereits entlang des Skulpturenpfades aufgestellt; bis zur Eröffnung im Mai sollen noch acht weitere dazukommen. Eine Besonderheit des Projektes besteht darin, dass es von einer Bürgergruppe initiiert wurde und vorangetrieben wird. Beteiligt ist auch die stellvertretende Leiterin der Herrenberger Volkshochschule, Elena Tutino. Ihre Bekanntschaft mit Timm Ulrichs führte beispielsweise dazu, dass der bekannte Konzeptkünstler der Stadt Herrenberg sein „Einflächen-Faltstück“ in Form von drei Zelten schenkte.

Manche Werke haben die Künstler gezielt für den Pfad geschaffen. Der Herrenberger Bildhauer Thomas Dittes etwa hat die Forderungen der Aufständischen aus dem Bauernkrieg, zum Beispiel nach der Aufhebung der Leibeigenschaft oder der Verkündigung des Evangeliums auf Deutsch statt auf Lateinisch auf Tafeln aus Granit geschrieben. Diese führen zu einem geborstenen Obelisken, der auf das letztliche Scheitern der Aufständischen hinweist.

Im Altar Lutz Ackermanns spiegelt sich der Betrachter

Im Gegensatz zu Dittus´ Skulptur wurden andere Werke nicht für den Pfad geschaffen, sondern im Nachhinein eingegliedert. So vermachte die Witwe des bekannten Stuttgarter Bildhauers Hans Dieter Bohnet Herrenberg die Skulptur „Kubus XIII“, die schon lange vor dem Herrenberger Kunstpfad entstand. „Die Plastik stand lange in Stuttgart“, erzählt Helge Bathelt mit einem spitzbübischen Lächeln. „Wir haben sie dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Herrenberg gebracht.“

Den spektakulärsten Beitrag zum Skulpturenpfad hat jedoch der in Gäufelden lebende Lutz Ackermann geliefert. Der Bildhauer ist für seine mit rötlicher Patina überzogenen Stahlskulpturen bekannt, von denen zahlreiche auch in Stuttgart, Böblingen und Sindelfingen aufgestellt sind. Für den Kunstpfad hat Ackermann quasi den Herrenberger Altar von Ratgeb nachgebaut. Doch bei Ackermann sind die Altarflügel nicht bemalt, sondern spiegeln sich in großen Stahlblech-Flächen. „Der Betrachter wird so selber zum Teil der Heilsgeschichte“, erklärt Helge Bathelt. Das Glanzstück des Skulpturenpfades wurde im September jedoch ohne größere Öffentlichkeit aufgestellt. Das lag wohl auch daran, dass die Zusammenarbeit zwischen den Machern des Kunstpfades und dem Gäufeldener Bildhauer nicht ungetrübt ist. Auch von der Stadt Herrenberg hofft Bathelt in manchen Punkten, zum Beispiel bei der Beschilderung und Beleuchtung des Skulpturenpfades, auf mehr Unterstützung. „Wir als Projektinitiatoren sind nach drei Jahren an der Grenze unserer Kräfte angelangt,“ sagt er.

Zum Skulpturenpfad gehören auch mehrere Werke des Mötzinger Künstlers Stefan Eipper. Es sind ausdrucksstarke Werke aus grob bearbeitetem Holz, doch Aufsehen dürften sie aus einem anderen Grund erregen: Eipper ist 2007 zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er seine Mutter erschlagen hat. Bathelt hält es dennoch für richtig, Eippers Werke in den Skulpturenpfad zu integrieren: entscheidend sei deren künstlerischer Wert, nicht der Charakter ihres Erschaffers.

Stadt bietet schon vor der Einweihung Führungen an

Auf Anfrage bietet die Stadt Herrenberg Gruppenführungen zum Jerg-Ratgeb-Pfad an. Mehr Informationen unter der Nummer 0 70 32/92 43 20.