Martin Kunzmann soll den Gewerkschaftsbund im Südwesten von Januar an führen. Der IG-Metaller aus Pforzheim ist in Stuttgart bisher ein kaum bekanntes Gesicht.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Martin Kunzmann gibt freimütig zu, dass der Aufstieg zum künftigen Landesvorsitzenden des Gewerkschaftsbundes auch für ihn selbst überraschend kommt. „Das ging jetzt alles sehr schnell“, schildert der langjährige Bevollmächtigte der IG Metall in Pforzheim im Gespräch mit dieser Zeitung. „Die letzten Tage ist viel auf mich eingeströmt.“

 

Mitte November hatte Amtsinhaber Nikolaus Landgraf verkündet, nach Brüssel zu gehen. Der IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger habe ihn erst kurz davor gefragt, ob er sich vorstellen könne, dessen Job zu übernehmen, berichtet Kunzmann. Am Donnerstagabend wurde er vom DGB-Bezirksvorstand offiziell nominiert. Die „Findungskommission“ hatte wenig zu suchen – der Kandidat war schon gefunden. Am 28. Januar soll Kunzmann von 100 Delegierten auf einer außerordentlichen Bezirkskonferenz gewählt werden – zunächst für ein Jahr bis zur nächsten ordentlichen Bezirkskonferenz. Der 60-Jährige macht klar, dass er als Interimsvorsitzender nicht zur Verfügung steht: „Ich trete jetzt für ein Jahr an und hoffe, in der Zeit das Vertrauen der Gewerkschaften zu gewinnen, damit 2018 einer Nominierung für eine weitere, volle Amtszeit nichts im Wege steht.“ Dann würde er mit 65 Jahren aufhören. Auch Landesvize Gabriele Frenzer-Wolf (Verdi) will 2018 wieder kandidieren.

Sein Spielfeld war bisher Pforzheim

Den Gaggenauer Zitzelsberger kennt er noch gut aus Geschäftsführer-Zeiten. Nun muss Kunzmann nicht nur beweisen, dass er als Metaller neuen Schwung in den DGB zu bringen vermag, sondern auch, dass er „ein Herz für die kleinen Gewerkschaften“ hat. In der Schmuckstadt sind diese schwach, da hilft die IG Metall ohnehin aus.

In der Landeshauptstadt ist Kunzmann nur der eigenen Organisation ein bekanntes Gesicht. „Ich bin noch nicht verwurzelt in Stuttgart – mein Spielfeld ist bisher Pforzheim, das hat meine Kraft gebunden“, sagt er. Der gelernte Mechaniker ist dort seit 1985 für die IG Metall tätig, seit 25 Jahren als Geschäftsführer. Erst im Juni wurde er bis 2020 bestätigt, hat aber schon eine Nachfolgerin aufgebaut. Der erste Bericht Mitte November über seine neuen Ambitionen hat die Seinen folglich getroffen.

Wahlkampf gegen Mappus gemacht

War er bisher für lediglich 9200 Mitglieder in 80 Betrieben verantwortlich, macht er in Stuttgart künftig für 817 000 Beitragszahler Gewerkschaftspolitik. Dass hier Neuland auf ihn wartet, will der kommunikativ und unverkrampft auftretende Metaller nicht beschönigen: „Ich bin noch nicht in alle DGB-Themen involviert – da muss ich mich stellenweise einarbeiten.“ In jedem Fall sei er ein Teamplayer und wolle dies auch beim DGB so halten.

Dort will der Sozialdemokrat überparteilich agieren. 2011 war er für die Genossen bei der Landtagswahl gegen den damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) angetreten und hatte die Hälfte von dessen Stimmenanteil geholt: 22,8 Prozent. Dies wertet er als Erfolg: Die SPD habe dort weniger verloren als im Landesdurchschnitt. Die Kandidatur sei eine „gute Erfahrung“ gewesen. Vor der jüngsten Landtagswahl wurde er erneut gefragt, ob er kandidieren wolle – lehnte aber ab.

Einschlägige Erfahrungen hat Kunzmann mit den Rechten gesammelt. Dass die AfD in seiner vom Strukturwandel aufgerauten Heimatstadt ein Direktmandat holte, „erschüttert“ ihn. Er habe kein Patentrezept für den Umgang mit Rechtspopulismus, doch dürfte man sich nicht wegducken. „Die Parteien lassen sich im Moment von den Rechtspopulisten vor sich hertreiben“, sagt der 60-Jährige. Dies sei falsch. „Wir müssen denen die Stirn bieten – dazu ermuntern wir auch unsere Betriebsräte, wenn in der Belegschaft darüber diskutiert wird.“ Auch Metaller zählen zur AfD-Kundschaft.

Neue Aufgabe von Landgraf noch offen

Noch-Amtsinhaber Landgraf war bei der Nominierung seines Nachfolgers am Donnerstagabend nicht anwesend. Erst im Januar will er verkünden, was er konkret in Brüssel vorhat – dies folgt einer Vereinbarung mit dem neuen Arbeitgeber. Da er im Januar 50 Jahre alt werde, sei dies ein „guter Zeitpunkt für einen beruflichen Neustart“, hatte Landgraf mitgeteilt. Offen ist, ob er ein Jahr vor dem regulären Ablauf seiner Amtsperiode zum Gehen gedrängt wurde, worauf die Umstände des Wechsels hindeuten. Möglicherweise war der Druck in Funktionärskreisen so groß geworden, dass nun mit Unterstützung der DGB-Bundesebene der Umbruch angegangen wird.