Was haben NS-Verbrecher gemeinsam? Was bringt die juristische Aufarbeitung heute noch? Kurt Schrimm legt ein Buch über seine Zeit als oberster Nazijäger Deutschlands vor. Manche Kapitel sind schwer zu ertragen – was an den geschilderten Verbrechen liegt.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Eine Frage bekommt Kurt Schrimm häufig gestellt: Ergibt es Sinn, greise Verbrecher zu verfolgen? Journalisten haben ihn das gefragt, als er Leiter der in Ludwigsburg angesiedelten Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen war, Bekannte fragen ihn das, seit er vor zwei Jahren in Ruhestand gegangen ist. Insofern beinhaltet der Titel seines neuen Buchs eine programmatische Aussage: „Schuld, die nicht vergeht“ heißt das 383 Seiten dicke Werk, in dem Schrimm über seine Erfolge und Misserfolge als Deutschlands oberster Nazijäger schreibt – auch das ein Wort, das er nie gerne hörte. „Wir haben keine Nazis verfolgt, sondern Mörder“, sagt der 68-Jährige. „Die Gesinnung hat mich wenig interessiert.“

 

Mord verjährt nicht – für einen Juristen wie Schrimm reicht das als Antrieb, aber im Buch deutet er eine weitere Motivation an: Den Verbrechern sei das Alter ihrer Opfer egal gewesen. „Greise wurden ebenso unbedenklich erschossen oder in die Gaskammer geführt wie Säuglinge.“ Mitleid mit den heute greisen Tätern sei unangebracht.

Josef Schwammberger – der Massenmörder gibt sich als „Inkarnation des Harmlosen“

Schrimm ist ein zurückhaltender Mann, ein Konservativer, Pathos ist seine Sache nicht, und das schlägt sich in seiner Sprache nieder. Nüchtern berichtet er, wie er als Staatsanwalt in Stuttgart eher zufällig zum Sachbearbeiter für NS-Verbrechen und im Jahr 2000 zum Leiter der Zentralstelle befördert wurde. Manches in den nachfolgenden Kapiteln ist trotzdem schwer zu lesen, was allein an den Verbrechen liegt, die eben auch ein Teil dieses Buches sind.

Ein trauriger Höhepunkt sind die Seiten über Josef Schwammberger, der 1992 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Schrimm war der zuständige Staatsanwalt und erzählt, welche Hürden bei der Auslieferung des ehemaligen Getto- und Lagerkommandanten zu überwinden waren, der sich nach Argentinien abgesetzt hatte. Manchmal liest sich das wie ein Agententhriller.

Die Schilderungen der „sadistischen Mordtaten“ hält Schrimm knapp, aber sie geraten eindringlich. Wie Schwammberger einen Jungen zwang, aus einer Jauchegrube zu essen, bevor er ihn mutmaßlich eigenhändig erschoss. Wie er Juden in eine brennende Baracke trieb. Wie er erniedrigte und mordete, wo er nur konnte. Schrimm wusste all das aus Zeugenvernehmungen, und dann saß er Schwammberger das erste Mal gegenüber, einem freundlichen Mann, „leicht gebeugt, braune Cordhose, Strickjacke“, die „Inkarnation des Harmlosen“. Lange beschäftigt sich das Buch mit der Frage, was die Verbrecher gemeinsam haben. Eine schlüssige Antwort findet es nicht, nur diese: Echte Reue habe keiner gezeigt.

Hat Deutschland bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Zeit versagt?

Auch mit der Kritik an der Arbeit der Zentralstelle und generell an der Aufklärung der NS-Verbrechen setzt sich Schrimm auseinander. Sein Fazit: Deutschland habe bei der Aufarbeitung zwar nicht kläglich versagt, aber es seien viele Fehler passiert.

Emotional wird Schrimm, wenn er von Begegnungen mit Zeugen berichtet, etwa mit einer jüdischen Frau, die er über ihre Zeit im Getto befragte – und die so dankbar war, dass nach Jahrzehnten ein Vertreter des deutschen Staates gekommen war, der sich für ihr Schicksal interessierte. Das Gespräch beendete sie laut Schrimm mit den Worten: „Ich kann jetzt ruhig sterben.“

Hilft die Aufklärung von Verbrechen, künftige Verbrechen zu verhindern? Im Buch klingt zumindest eine leichte Hoffnung an: „Vielleicht trägt unsere Tätigkeit dazu bei, dass wir und unsere Nachfahren wachsamer sind als unsere Vorfahren.“