An der Universität Ulm haben drei Forscher zehn Millionen Euro eingeworben, um kleinste Sensoren aus einem besonderen Material zu fertigen: aus Nanodiamanten. Ihr erster Erfolg: ein Messgerät, das den Bluteisenwert bestimmt.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Im Dezember haben die Ulmer Forscher Tanja Weil, Chemikerin, Martin Plenio, theoretischer Physiker, und Fedor Jelezko, Experimentalphysiker, zu den europäischen Abräumern von millionenschweren Forschungsgeldern gehört. Zusammen bildeten sie die Arbeitsgruppe „Quantengeräte und Biologie“ (Quantum Devices and Biology, kurz: BioQ) und eroberten als solche 10,3 Millionen Euro an EU-Fördermitteln beim Europäischen Forschungsrat (ERC). Das war ein Paukenschlag für ganz Baden-Württemberg.

 

Die Gruppe hat ein Verfahren entwickelt, bei dem künstliche Nanodiamanten zu einem „kleinen Energiekompass“ gemacht werden, wie Martin Plenio sagt. Fedor Jelezko vergleicht die Diamanten mit einem „Magnetresonanztomografen, der einzelne Atome sehen kann“. Das Versprechen der Technik ist es, dass erstmals Vorgänge auf der Ebene der Moleküle beobachtet werden können.

Das klang zu Jahresbeginn noch sehr ins Ungefähre hinein formuliert, doch jetzt haben die Ulmer Forscher einen ersten konkreten Erfolg präsentiert. Sie haben einen Nanodiamanten zu einem Biosensor gemacht, der das Vorkommen von Eisen im menschlichen Blut zum ersten Mal unmittelbar nachweisen kann.

Was Kaffeekannen über Seminarteilnehmer aussagen

Der Bluteisenwert ist für Mediziner ein wichtiger diagnostischer Indikator – wer zu viel Eisen hat, leidet möglicherweise an akuten Entzündungen, wer zu wenig hat, ernährt sich häufig falsch oder leidet bereits an Blutarmut (Anämie). Was der Patient meist nicht weiß: Mediziner sind bisher gar nicht in der Lage gewesen, Eisenatome unmittelbar im Körper aufzuspüren. „Ungebundenes Eisen wirkt toxisch und ist in der Regel kaum im Blut zu finden“, sagt die Chemikerin Tanja Weil. So richten sich die gebräuchlichen Messverfahren vielmehr auf jene Proteine, die für die Speicherung und den Transport von Eisen zuständig sind. Eines dieser Proteine heißt Ferritin. Man weiß, dass es bis zu 4500 Eisenatome binden kann. Die meisten herkömmlichen Tests basieren auf immunologischen Verfahren; die Eisenkonzentration wird auf der Grundlage verschiedener Indikatoren geschätzt.

Doch diese Schätzung, das zeigt die klinische Praxis, stimmt eben nicht immer. Martin Plenio zieht den Vergleich mit einem Seminarraum, in dem Kaffeekannen für die Teilnehmer bereitstehen. Sind genügend Kannen auf den Tischen, so gibt das einen Anhaltspunkt dafür, dass alle Seminarteilnehmer auch mit Kaffee versorgt sind. Doch Kannen können leer sein – oder mit einer ganz anderen Flüssigkeit gefüllt. „Wir können jetzt in diese Kaffeekannen hineinsehen“, vergleicht Plenio.

Das gelingt mit den Nanodiamanten. Eisen, so postulierten die Ulmer Forscher bei ihren Vorüberlegungen, ist ein Magnet, Eisenatome bilden magnetische Felder aus. Durch Überlagerung verstärken sie sich in einer Weise, dass sie technisch messbar werden. Das, so die Ursprungsannahme, müsse auch bei den an das Ferritin gebundenen Eisenatomen der Fall sein. Man brauchte folglich einen hochsensiblen Magnetfeldsensor, der die von den Ferritin-Proteinen ausgehenden, sehr schwachen Magnetfelder messen konnte.

Die künstlichen Diamanten werden eingefärbt

Künstliche Diamanten in Nanometergröße (ein Nanometer ist ein Milliardstelmeter), das ist das Ergebnis der Forschung, taugen als Magnetfeldsensoren. Aber nicht perfekte – also farblose und transparente – Diamanten, sondern solche mit sogenannten Gitterfehlern. Sie können künstlich erzeugt werden und erscheinen dann dem Auge eingefärbt. Das ist der entscheidende technische Kniff an der Sache. „Diese Farbzentren erlauben es uns, die Ausrichtung von Elektronenspins in externen Feldern optisch auszulesen“, sagt Fedor Jelezko.

Blieb die Schwierigkeit, das Ferritin an der Diamantoberfläche anhaften zu lassen. Sie wurde gelöst, wie Tanja Weil erklärt, „mit Hilfe von elektrostatischen Interaktionen zwischen den Diamantpartikeln und den Ferritin-Proteinen“. Inzwischen, sagt Martin Plenio, sei „durch theoretische Modellierung“ erwiesen, dass das gemessene Signal zuverlässig mit dem Vorkommen von Ferritin im Blut übereinstimme, das Messerverfahren also funktioniere. Nächstes Ziel sei es, auch die genau Anzahl der Proteine bestimmen zu können.

Die neue Messmethode könnte zu einem Türöffner in eine ganz neue Dimension medizinischer Diagnostik werden. Tanja Weil nennt beispielhaft die Erforschung der Alzheimerdemenz. Es gebe den wissenschaftlichen Verdacht, dass bei Alzheimerpatienten Proteine anstatt mit Eisen mit Aluminiumatomen gefüllt sein könnten. Mit der Ulmer Quantentechnologie könne man diesem Verdacht nun auf den Grund gehen.

Neue Messmethoden ermöglichen neue Entdeckungen

Vor den Ulmern tun sich ungeahnte Felder auf. „Wenn man eine neue Technologie hat, gibt es auch neue Entdeckungen“, kündigt Martin Plenio an. Was genau geschieht bei der Fotosynthese? Welchen Einfluss haben Magnetfelder auf den menschlichen Geruchssinn? Wie setzen Zugvögel ihren Magnetfeldsinn ein? Sechs Jahre lang bleibt das Ulmer Team jetzt zusammen, um solche Fragen zu klären. Schon kommen die Anfragen und Hinweise von Medizinern und Forscherkollegen aus aller Welt.

Für die im Vergleich kleine Universität Ulm ist die fächerübergreifende Zusammenarbeit der drei noch jungen Professoren, die erst zwischen 2009 und 2011 berufen worden sind, ein Glücksfall. „Man muss Gründe liefern, damit Spitzenwissenschaftler in Ulm bleiben“, sagt Tanja Weil. Jetzt lässt sich mit der Aussicht auf weitere Forschungserfolge locken.

Die Ulmer Universitätsleitung hat ihren Topforschern bereits umfängliche Unterstützung zugesagt. Derzeit wird an einem eigenen Forschungstrakt für die Quantentechnologie geplant, mit Labors, in denen die nötigen Gerätschaften aus Physik, Biologie und Medizin nebeneinander stehen. „Quantenphysik ist das große Ding jetzt“, sagt Martin Plenio mit Grinsen. Er und seine Kollegen sind mit jedem Forschungserfolg mehr dabei, aus ihrem Projekt selber einen Edelstein zu machen.

Förderung durch den Europäischen Forschungsrat ERC

Fördertopf
Völlige Autonomie der Wissenschaft, die Förderung von Pionierforschung, unbürokratische Verfahren, direkter Kontakt zu Antragstellern – das alles will der Europäische Forschungsrat ERC. Sein Budget, das von 2007 bis in dieses Jahr reicht, umfasst 7,5 Milliarden Euro.

Grundidee
Der ERC fördert Vorreiter in der grundlagenorientierten Forschung. Es gibt kein Proporzdenken, wonach EU-Mitgliedsstaaten gleichberechtigt behandelt werden müssen – auch keine Gießkannenpolitik, nur die wissenschaftliche Idee zählt. Vier Gruppen von Antragstellern unterscheidet der ERC. Stipendien erhalten besonders junge Nachwuchswissenschaftler (Starting Grants), erfahrene Nachwuchsforscher (Consolidator Grants), etablierte Wissenschaftler (Advanced Grants) und Kleingruppen (Synergy Grants).

Gruppenpreis
Die Ulmer Forschergruppe um den Physiker Martin Plenio hatte sich 2012 um einen Synergy Grant beworben. Komplementäre Expertise, Fähigkeiten und Ressourcen sind laut Ausschreibung so zusammenzubringen, dass neue wissenschaftliche Durchbrüche möglich werden. Das Forscherteam in Ulm hat 10,3 Millionen Euro bewilligt bekommen. Das Geld wird über eine Laufzeit von sechs Jahren ausgeschüttet.