Wenn Bund und Länder den neuen Länderfinanzausgleich und einen möglichen weiteren Solidarpakt aushandeln, werden Investitionsbedarf und strukturelle Arbeitslosigkeit an Gewicht gewinnen. Gerade für Sachsen bedeutet das Einschnitte.

Leipzig - Wenig ist unter den 16 deutschen Bundesländern so umstritten wie der Länderfinanzausgleich, denn ganze vier Geber alimentieren damit zwölf Nehmer. Und dies im wachsenden Maße. Immerhin erreichte jenes Regulativ mit den gut neun Milliarden Euro, die Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg im Jahr 2014 an die ärmeren Teile der Republik abtreten mussten, ein neues Rekordvolumen.

 

Eine Sonderrolle kommt dabei den fünf Ostländern zu, die erst 1990 zur Bundesrepublik stießen. Sie erhalten zusätzliche Milliarden über einen Solidarpakt, mit dem sie „teilungsbedingte Sonderlasten“ bewältigen müssen. Doch im Gegensatz zum regulären Länderfinanzausgleich schmilzt dieser Obolus beständig ab. Betrug die Gesamtsumme 2005 noch gut 10,5 Milliarden Euro, sind es heute nur noch fünf Milliarden und 2019 knapp 2,1 Milliarden. Danach ist ganz Schluss, zumindest in der bisherigen Form.

Kaum ein Land strich mehr Hilfen ein als Sachsen

Mithin schicken sich die 16 Länder derzeit an, ihre Finanzbeziehungen untereinander sowie zum Bund neu zu regeln. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) erwartet dabei jedoch ein „Hauen und Stechen“. Tillich stört sich vor allem an der Westsicht, „dass es den ostdeutschen Ländern schon sehr gut geht und sie keine weitere Hilfe mehr benötigen“.

Dabei strich kaum ein Land mehr Hilfen ein als Sachsen. Allein an Ergänzungszuweisungen, die der Bund einwohnerabhängig zahlt, wenn die Finanzkraft auch nach dem eigentlichen Länderfinanzausgleich noch unter dem Mittelwert der Länder liegt, erhielt es zuletzt jährlich knapp 2,4 Milliarden Euro. Da Sachsen andererseits auch die deutlich niedrigste Pro-Kopf-Verschuldung aller Länder aufweist, attestiert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dem Freistaat zumindest eine „hohe Glaubwürdigkeit im Länderkreis“.

Regierungschefs im Osten sehen noch viele Defizite

Zugleich verheimlicht Schäuble nicht, dass die Steuereinnahmen im Osten weiterhin nur gut die Hälfte des Länderdurchschnitts betragen. Auch die Wirtschaftsleistung pro Kopf erreicht zwischen Rügen und Erzgebirge im Schnitt erst 70 Prozent des Westniveaus. So gesteht der Oberkassenwart dem Osten denn auch nach 2019 einen „weit überproportionalen Teil des Finanzausgleichs“ zu.

Andere Regierungschefs im Osten sehen in ihrem Beritt noch weitere Defizite. Sie verweisen auf Nachholbedarf in der Infrastruktur sowie Unterschiede im Lohn- und Rentenniveau zwischen West und Ost. Interessanterweise ist es jedoch Bodo Ramelow (Linke), der weniger an sein Thüringen als mehr das chronisch darbende Berlin denkt, wenn er im Zuge des neuen Länderfinanzausgleichs zunächst mal einen „besser dotierten Hauptstadtvertrag“ anregt. Dabei erhält die Hauptstadt bereits den größten Brocken aus dem Länderfinanzausgleich – mehr als drei Milliarden Euro im Jahr.

Länderfinanzausgleich stellt auf Jahrzehnte die Weichen

Einseitig auf Berlin oder den Osten zu zielen verhehlte indes die ganze Wahrheit. Die elf Altbundesländer verschweigen etwa gern, dass sie im Gegenzug für die Aufnahme des Ostquintetts fürstlich an den Mehrwertsteuereinnahmen beteiligt werden. Jene jährlich rund 13 Milliarden Euro entsprechen fast jener Summe, die der Bund aus dem Solidaritätszuschlag erzielt. 2014 waren dies rund 15 Milliarden Euro. Dieser „Soli“ sind jene 5,5 Prozent Sonderabgabe, die seit 1991 alle Deutschen – auch die Ostdeutschen – auf ihre Einkommens-, Körperschafts- und Kapitalertragsteuer entrichten. Derzeit wird wieder mal über deren Ende diskutiert, aber offenbar wollen das weder die Länder noch der Bund wirklich, denn dem spielt der Soli längst deutlich mehr Geld in den Haushalt, als Schäuble in den Osten weiterreicht. Ganz abgesehen davon, dass Helmut Kohl die Erhebung dieses edel klingenden Aufschlags dereinst mit zwei Zwecken begründete: dem Aufbau Ost und der Finanzierung des Golfkrieges. Bis Ende 1999 hatte Kohl ihn denn auch „endgültig weghaben“ wollen.

Ungeachtet dessen geht es nun von 2019 an beim Länderfinanzausgleich sowie einem möglichen Solidarpakt III – auch wenn diesen die CDU-Finanzexpertin Antje Tillmann zumindest als reine Ost-Alimentierung bis jetzt ausschließt – wieder um viele Milliarden Euro. Für ärmere wie für reiche Regionen stellt er auf Jahrzehnte die Weichen neu. Also wird im Vorfeld von interessierter Seite auch an den Schrauben gedreht, um Einfluss auf die Verteilungsschlüssel zu nehmen. Klar dürfte nur sein, dass eine Bedürftigkeit rein nach Himmelsrichtung dann nicht mehr gilt. Dazu hat sich der Osten inzwischen auch zu inhomogen entwickelt.

Demografische Aspekte spielen bisher noch gar keine Rolle

Ökonomen der nationalen Förderbank KfW rieten jüngst dazu, die Zuschüsse vom realen Investitionsrückstand sowie von demografischen Tendenzen in den Regionen abhängig zu machen. Würde der investive Bedarf zum Maßstab gemacht, gehörten indes gerade zwei Ostländer zu den Verlierern: Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Sachsen büßte deutlich ein, während Bayern wegen seiner stark ländlichen Prägung gar noch Milliarden draufgesattelt bekäme.

Auch demografische Aspekte, die bisher noch gar keine Rolle spielten, obwohl Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung stark die Finanzlage der Länder beeinträchtigen, schadeten dem Osten eher. Nur Sachsen-Anhalt und Thüringen profitierten im Vergleich zur bisherigen Regelung, während auch die Stadtstaaten und viele westdeutsche Länder leer ausgingen.

Ökonomen raten zu einem Bewertungsmix

Geradezu überraschende Veränderungen brächte ein Neuzuschnitt des Solidarpaktes unter Berücksichtigung der strukturellen Arbeitslosigkeit, denn dann erhielte Nordrhein-Westfalen, das momentan ganz leer ausgeht, gleich die Hälfte von allem. Alle ostdeutschen Länder büßten dagegen ein – so wie auch bei einer Verteilung der Gelder auf Basis der Wirtschaftskraft: Vor allem Sachsen, aber auch die vier anderen Ostländer sowie Berlin erlitten Verluste. Der große Gewinner hieße Niedersachsen.

Die KfW-Ökonomen raten zu einem Bewertungsmix aus all diesen Faktoren, wobei man es drehen und wenden kann, wie man will: Dem Osten ginge es auch dann nicht mehr so schlecht, dass er nicht bisherige Gelder aus dem Solidarpakt II an westdeutsche Länder abtreten müsste. Nur Sachsen-Anhalt käme ungeschoren davon. Dies alles bereits ahnend, gab der Sachse Tillich schnell noch einen Warnschuss in die Verhandlungsrunde: Die Ostländer müssten die „Gelegenheit haben, den eingeschlagenen Weg auch nach 2019 erfolgreich fortzusetzen“. Bringe es doch „keinem was, wenn wir in unserer Entwicklung angehalten und zurückgeworfen werden“, übt er sich tapfer in Zweckpessimismus.