Bundestrainer Joachim Löw hat 100 Tage vor dem Beginn der WM schon in den Angriffsmodus hochgeschaltet. Mit dem Spiel gegen Chile in der Mercedes-Benz-Arena in Stuttgart läutet er die heiße Phase ein.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Joachim Löw sitzt im achten Stock des Mercedes-Benz-Museums und hat von seinem Podiumsplatz aus einen erhabenen Blick auf das VfB-Trainingsgelände und die dahinter liegenden Weinhänge des Rotenbergs. Dabei läuft er im Stile eines gut geölten Zwölfzylinders bereits „auf allen Pötten“, wie das ein Autofreund wie der DFB-Teammanager Oliver Bierhoff sagt. Denn Löw, der mit seinem südbadischen Dialekt zunächst wie ein gemütlicher Zeitgenosse wirkt, hat 100 Tage vor dem Beginn der WM schon in den Angriffsmodus hochgeschaltet. Die Deutschen treffen im Auftaktspiel der Vorrundengruppe G dann am 16. Juni in Salvador auf Portugal.

 

Absolut fitte Spieler, einen Kader, der „maximal belastbar“ sei – und Akteure, die bereit sind, ihre volle Konzentration, ihre Trainingsarbeit, ihren Lebensstil nun dem gemeinsamen WM-Traum unterzuordnen, das sind Löws Vorgaben. Dann läutet der Bundestrainer mit einem letzten Weckruf an seine Nationalspieler die heiße Phase des Countdowns ein: „Die Uhr tickt – nur wer sie hört, der hat eine Chance, dabei zu sein“, sagt der 53-Jährige vor dem Test am Mittwoch (20.45 Uhr /ARD) in der Stuttgarter Fußballarena gegen Chile. Damit verschärft der Bundestrainer im ersten Länderspiel des Jahres 2014 mit Blick auf sein kickendes Ensemble die Tonart: Solle sich also keiner seiner Edelfüße einbilden, dass das zweifellos vorhandene Talent allein ausreichen wird für die Fußball-Nationalelf im feucht-heißen Brasilien, um dort alle gemeinsam zum vierten WM-Titel für den DFB zu tragen.

Einige neue Gesichter sind in Stuttgart mit dabei

Einige Komplikationen in den Monaten seit den Testspielen im November 2013 in Italien (1:1) und in England (1:0) mit einer langen Riege verletzter Spieler wie Sami Khedira, Ilkay Gündogan, Thomas Müller oder Sven Bender und mit diversen Profis wie Bastian Schweinsteiger, Miroslav Klose, Mario Gomez oder Mats Hummels, die erst langsam ihren Spielrhythmus finden, haben Löw aufgeschreckt. Also will er für das letzte Länderspiel vor der Nominierung des erweiterten Kaders am 8. Mai den Konkurrenzkampf im Team anstacheln. „Im Moment haben wir schon noch ein paar Probleme“, sagt der besorgte Chefcoach, denn klar ist, dass der WM-Motor so einer höheren Drehzahl nicht standhält.

Um die Kolben zum Laufen zu bringen, sind im Stuttgarter Teamquartier, der Nobelherberge „Le Meridien“ am Schlossgarten, auch einige neue Gesichter mit dabei: Den Stürmer Pierre-Michel Lasogga (Hamburger SV), den Mittelfeldmann André Hahn (FC Augsburg) sowie die Abwehrspezialisten Matthias Ginter (SC Freiburg) und den beim deutschen Publikum weitgehend unbekannten Ex-Juniorennationalspieler Shkodran Mustafi (Sampdoria Genua) hätte man noch vor kurzem nicht zwingend vor der Brasilien-WM im Trikot mit dem Bundesadler erwartet.

Doch der unvermutet experimentierfreudige Löw beginnt mit diesen Personalien entschlossen die Phase der „Wahrheit und Klarheit“, wie er sagt. Soll heißen: alles kommt noch einmal auf den Prüfstand – und wer dem letzten Check nicht standhält, der ist draußen. So wie vorübergehend die nicht für das Chile-Spiel nominierten, weil lange angeschlagenen Benedikt Höwedes, Julian Draxler, Mats Hummels und Marco Reus. Vor allem Letzterer dürfte die als schöpferische Pause deklarierte Auszeit zum Anlass nehmen, um kräftig Gas zu geben. „Es wird vor der WM Entscheidungen geben, die dem ein oder anderen weh tun werden“, kündigt Löw vorsorglich an.

Löw nimmt nur topfitte Spieler mit

Schließlich gelte es, so die These des Bundestrainers, nicht die theoretisch Besten, sondern die in den vier WM-Wochen dann aktuell leistungsfähigsten Profis im 23-Mann-Kader zu bündeln. Wie 2010 vor der Endrunde in Südafrika wird man sich vom 21. Mai an im Passeiertal in Südtirol auf die Aufgabe in Südamerika vorbereiten. Zu einem Zeitpunkt also, an dem wegen des Champions-League-Finales am 24. Mai in Lissabon theoretisch die Bayern- und/oder auch die Dortmund-Profis fehlen könnten. „Wir werden bis dahin die Entwicklung der Spieler genau überwachen“, sagt Löw, der nur topfitte Spieler ins deutsche Brasilien-Lager nach Porto Seguro mitnehmen will.

Eine Ausnahme könnte es aber geben. Schließlich ist Sami Khedira von Real Madrid, der nach seinem Kreuzbandriss dieser Tage das Lauftraining aufgenommen hat, für Löw „einer der Spieler, die auch aufgrund ihrer Persönlichkeit einen Mehrwert für das Team darstellen“. Khedira, der beim TV Oeffingen vor den Toren Stuttgarts mit dem Fußball begann, darf also auf ein WM-Ticket hoffen. Weil in dem BVB-Profi Ilkay Gündogan („Bei seiner Zukunftsprognose bin ich überfragt“, so Löw) gegen Chile ein weiterer Sechser fehlt, wird Kapitän Philipp Lahm wie beim FC Bayern – vermutlich neben seinem Vereinskollegen Bastian Schweinsteiger – ins defensive Mittelfeld vorrücken. Kevin Großkreutz wird somit rechts verteidigen. Es ist nach drei Jahren Pause erst das vierte Länderspiel für den einsatzfreudigen BVB-Profi.