Wie können sich die Parteien vor dem Aussterben retten? Sie sind geplagt von Mitgliederschwund und Überalterung. CDU-Generalsekretär Peter Tauber setzt auf persönliche Kontakte. Als virtuelle Vereine, sagt er, hätten Parteien keine Zukunft.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Herr Tauber, wie können Parteien für ein zunehmend politikverdrossenes Publikum attraktiver werden?

 
Bevor wir über die Instrumente reden, muss man eines vorausschicken: Wir brauchen wieder ein stärkeres Bewusstsein in der Gesellschaft, welch wichtige Funktion die Parteien in einer Demokratie haben. Wenn keiner bereit ist, sich dafür auch zu engagieren, dann nützen die schönsten Hochglanzbroschüren nichts. Demokratie lebt davon, dass die Bürgerinnen und Bürger mitmachen.
Vielen ist ihre knappe Freizeit zu schade, um in Hinterzimmern über Parteipolitik zu diskutieren.
Natürlich fragen sich die Leute, ob sich das überhaupt lohnt. Doch das Internet bietet ganz andere Möglichkeiten der Partizipation. Für uns als CDU gibt es da allerdings eine organisatorische Herausforderung: Unsere Mitglieder sind im Schnitt 60 Jahre alt. Viele von ihnen nutzen das Internet, aber sie sind anders sozialisiert.
Die Parteien sind Relikte aus der Frühzeit der Demokratie. Wie können sie überleben?
Es gibt eine Gleichzeitigkeit von verschiedenen Kulturen. Für unsere älteren Mitglieder müssen wir weiterhin Informationen auf Papier drucken, für manche jüngere allerdings auch. Aber inzwischen kann jedes CDU-Mitglied unsere Parteitage live im Internet verfolgen. Das war früher nicht möglich, da waren nur 1000 Delegierte beteiligt. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, soziale Netzwerke seien der entscheidende Kanal für die Politik. Denn sie sind klassisch darauf angelegt, Kontakt zu Menschen zu pflegen, die man schon kennt. Es ersetzt also nicht persönliche Bekanntheit. Als Generalsekretär kann ich die Mitglieder nicht nur auf digitalem Wege erreichen. Die sagen mir: Du hast auch mal vorbeizukommen. Und da haben sie völlig recht. Deshalb besuche ich jedes Jahr über 100 Kreisverbände. Politik lebt auch davon, dass man Auge in Auge diskutiert.
Parteien werden also nicht zu Internetforen?
Das Internet wird die politische Mitwirkung für Menschen erleichtern, die sehr mobil sind und wenig Zeit haben. Aber Politik wird immer von persönlicher Begegnung, vom direkten Austausch leben.
Warum ist die CDU in weiten Teilen ein Rentnerverein geworden, in dem Frauen und jüngere Menschen Minderheitenstatus haben?
Vor dieser Herausforderung stehen ja alle großen Organisationen. Bei uns hat das historische Gründe. Die CDU ist groß geworden in den siebziger Jahren, als Helmut Kohl, Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler die Partei modernisierten. Wer damals mit 20 oder 30 bei uns eintrat, kommt jetzt ins Rentenalter. Was den Nachwuchs betrifft, so ist mir nicht bang: Die Junge Union hat 115 000 Mitglieder, so viele wie die anderen Nachwuchsorganisationen zusammen. Die sind aber nicht automatisch CDU-Mitglied. Insofern gibt es schon ein Reservoir von jungen Leuten, die sich für unsere Politik interessieren.
Es gibt also gar keine Nachwuchsprobleme?
Wir haben natürlich viel zu wenige Frauen. Deshalb haben wir uns im Rahmen der Parteireform „Meine CDU 2017“ das Ziel gesetzt, dass der Anteil in einem ersten Schritt auf 30 Prozent steigen soll. Viele Frauen sagen aber: Diese Kultur, die ihr etabliert habt, Sitzungen bis in die Nacht, das wollen wir nicht. Das ist nicht familienfreundlich. So argumentieren auch viele junge Väter. Deshalb müssen wir uns auf vielen Ebenen verändern.
Wie wird sich die CDU des Jahres 2030 von der des Jahres 2016 unterscheiden?
Ich glaube, dass Parteiarbeit noch sehr viel unmittelbarer werden wird. Wenn wir neue Mitglieder gewinnen wollen, muss ihnen klar sein, welchen Mehrwert ihre Zugehörigkeit zur CDU hat. Dieser Mehrwert wird darin bestehen, dass sie die Parteispitze viel direkter erreichen. Wir sind gerade dabei, entsprechende Diskussionsformate zu etablieren, die es ermöglichen, mit mir oder mit Ministern ins Gespräch zu kommen.
Haben die Parteien eher als Massenorganisationen eine Chance oder als Netzwerke der Funktionseliten?
Ich glaube, dass sie eher Katalysatoren von Themen sein werden, welche die Menschen umtreiben. Dann bleibt die spannende Frage: Gelingt es, diese Menschen auf Dauer an die Partei zu binden oder für die Themen, die sie jeweils interessieren? Mein Ziel ist natürlich, dass die CDU eine Mitgliederpartei bleibt.