Die Behörden sind alarmiert: Die ungewöhnliche Wetterlage lässt vor der Toskana die Lagune von Orbetello umkippen. Der Klimawandel verändert das ganze Mittelmeer. Das betrifft nicht nur die Temperatur.

Stuttgart - Dass etwas nicht stimmte in der Lagune von Orbetello, das wurde den Wächtern in der Samstagsnacht vor einer Woche klar. Da kamen ungewöhnlich viele Fische an die Oberfläche. Bauchoben allerdings oder noch in Zuckungen des Todeskampfs, nach Luft schnappend, eine stundenlange Qual. Eine Nacht später war die Wasseroberfläche schier unübersehbar weit bedeckt mit silbrig glänzenden Fischleibern. Mehr als 200 Tonnen haben die Einsatzkräfte im zunehmenden Verwesungsgestank mittlerweile geborgen, mehr als 3000 Tonnen könnten es werden, befürchtet der Präsident der Fischereigenossenschaft Orbetello, Pier Luigi Piro. Noch schlimmer aber: die toskanische Lagune, ein weit über Italien hinaus bedeutendes Zentrum der Fischzucht, dürfte nach Meinung der Meeresbiologen auf Jahre hinaus tot sein – mit Millionenschäden für einige Hundert Familien, die davon bisher lebten.

 

Der Scirocco gab dem Ökosystem den Rest

Die Ursache für das Fischsterben war schnell gefunden. Genauer gesagt, die Tendenz dazu hatte sich schon im Frühjahr abgezeichnet. Ein meteorologisch verrückter Juli gab dem ökologisch empfindlichen System dann den Rest. Im Brackwasser der zwar 27 Quadratkilometer weiten, aber lediglich 1,5 Meter tiefen Lagune stieg die Temperatur auf 35 Grad. Ein mangelnder Wasseraustausch in einem beinahe geschlossenen System und das Wachstum von Algen ließen den Sauerstoffgehalt gegen Null sinken; da half auch kein Nachpumpen mehr.

Zuletzt legte sich ein feuchter, heißer Schirokko über das Bassin, dann war’s mit dem Luftaustausch zu Ende. „Mehr oder weniger dasselbe Phänomen, wie wenn ein deutscher Badesee im Sommer umkippt“, meint Jenny Tucek vom Flensburger Institut für Marine Biologie, das auf der nahen Insel Giglio eine Außenstelle betreibt.

Das Wasser wird immer wärmer

Der Präsident des Euro-Mediterranen Instituts für Klimaforschung (CMCC), Antonio Navarra, sagt, dem Klimawandel als solchem sei das Fischsterben „in einer vom Meer fast abgeschotteten Lokalität wie Orbetello“ nicht zuzuschreiben; klar sei aber auch, dass es eine „stetige Zunahme von Ereignissen“ gebe, die den Klimawandel bestätigten und zu weiteren Befürchtungen Anlass gäben. Neueste Studien des CMCC sowie der diese Woche vorgelegte Jahresbericht des italienischen „Umweltbundesamtes“ Ispra zeigen, dass Luft- und Wassertemperatur im Mittelmeerraum unaufhaltsam steigen. Im Rekordjahr 2012 war das Wasser um 0,97 Grad wärmer als in den Vergleichsjahrzehnten von 1961 bis 1990. „Wenn es Veränderungen gab, dann nur nach oben“, schreibt die Behörde. Die Erhöhung des Wasserspiegels um derzeit bis zu 1,8 Millimeter pro Jahr scheint für die Experten im Mittelmeer kein größeres Problem darzustellen – allenfalls in den Lagunen wie Orbetello oder, vor allem, in deren berühmterer Schwester, der Lagune von Venedig.

Italiens Süden leidet unter Regenmangel

Während sich das von den dortigen Bewohnern durchaus geschätzte Mittelmeerklima nach Mittel- und Osteuropa ausdehnt, vertrocknet Italiens Süden. Die Regenfälle gehen jetzt schon stark zurück. Die Versorgung mit Trinkwasser stellt einwachsendes Problem dar beispielsweise auf Sizilien, wo die Leitungen bereits jetzt drei, vier Tage pro Woche leer bleiben. Weil Flüsse dem Meer weniger Wasser zuführen, steigt der Salzgehalt im Mittelmeer – mit allen Folgen für Tiere und Pflanzen.

„Aber das ist ein komplexes Phänomen“, sagt der Klimaforscher Navarra: „Es hat auch menschliche Ursachen, dass weniger Süßwasser ins Meer kommt. Die Landwirtschaft hält vieles für Bewässerungszwecke zurück.“ Natürlich steige mit der Lufttemperatur auch die Verdunstung und damit der Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Dieser entlade sich immer stärker in extremen Wetterereignissen. Währenddessen leiden die mediterranen Fische auch noch auf andere Weise. Laut der Umweltbehörde Ispra beutet der Mensch 95 Prozent der Fischbestände um Italien herum stärker aus als biologisch und auch rechtlich zulässig. Mit der Überfischung könnte auch die stetige, für Badetouristen schmerzhafte Zunahme von Quallen zu tun haben. Denn je weniger junge Fische sich von Plankton ernährten, umso mehr bleibe für die ätzenden „Medusen“ übrig, sagte der Meeresbiologe Ferdinando Boero in einem Zeitungsinterview.

„Es gibt Verlierer, aber auch Gewinner“

Ein vom Klimawandel verursachtes Artensterben hingegen hat im Mittelmeer noch niemand beobachtet. Fischer registrieren eher das Gegenteil. Sie ziehen immer mehr Lebewesen aus dem Wasser, die Biologen bisher nur aus tropischen Gewässern kennen. Laut der Umweltbehörde Ispra ist das Mittelmeer „die am stärksten von tierischer und pflanzlicher Zuwanderung befallene“ Wasserregion der Welt. Die Hauptroute von Kugelfisch und anderen tierischen Migranten führt zwar seit langem durch den Suezkanal. Aber erst heute garantieren die Wassertemperaturen des Mittelmeers eine eigenständige Fortpflanzung dieser „Neubürger“.

Insgesamt, rät der Forscher Navarra, sollte man den Klimawandel nicht zu negativ sehen: „Es gibt Verlierer, aber auch Gewinner.“ Die aktuellen Hitzewellen, wie sie der Lagune von Orbetello den Garaus gemacht haben, „die haben anderswo in Italien einen ganz anderen Effekt: Der Wein dieses Jahr wird spitze.“