Auf Bundesebene gibt es ihn schon seit zehn Jahren, nun soll auch das Land einen „Normenkontrollrat“ bekommen. Grün-Schwarz will so Bürokratie eindämmen und vermeiden. Als Chefin ist bereits eine CDU-Frau ausgeguckt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es ist eine Art „Evergreen“ der Landespolitik. Immer wieder gab es Versuche, die ausufernde Bürokratie einzudämmen. In den neunziger Jahren installierte Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP) in seinem Ressort einen „Bürokratiekosten-Tüv“. Der sollte vor allem darauf achten, dass die Belastungen für die Wirtschaft nicht überhandnehmen.

 

Ein Jahrzehnt später avancierte der Chef der Staatskanzlei, Rudolf Böhmler (CDU), zum „Ombudsmann“ für den Bürokratieabbau. Bürger, Verbände oder Unternehmen sollten ihm unsinnige Vorschriften melden, die abgeschafft werden könnten. Gänzlich erfolgslos waren all diese Bemühungen nicht, aber den Durchbruch brachten sie ebenso wenig.

Nun unternimmt die grün-schwarze Landesregierung einen neuen Anlauf, um der Bürokratie Herr zu werden. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sie sich darangemacht, ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Unter der Überschrift „Transparente und bürgernahe Verwaltung schaffen“ wird beklagt, wie unnötige Bürokratie Bürger und Unternehmen belaste, vor allem kleine und mittlere Firmen. „Wir wirken darauf hin, dass Bürokratie und Kostenbelastungen für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung nachhaltig begrenzt bzw. reduziert werden“, vereinbarten die Bündnispartner. Dazu wolle man „die Einführung eines Normenkontrollrats nach dem Vorbild des Bundes prüfen“.

Als treibende Kraft gilt der Chef der Staatskanzlei, Staatsminister Klaus-Peter Murawski (Grüne). Schon als Verwaltungsbürgermeister in Stuttgart beschäftigte ihn der Wust an Vorschriften und dessen zuweilen bizarren Folgen. Im Rathaus sammelte er auch Erfahrungen mit dem Durchforsten des Dschungels: Auf seinen Appell, unnötige Regeln zu melden, kam aus den Ämtern sogar der Wunsch nach neuen Vorschriften. Seither ist er überzeugt, dass Bürokratieabbau nur „von oben“ funktioniert.

Bürokratieabbaz funktioniert nur von oben

Mit dem Nationalen Normenkontrollrat auf Bundesebene gibt es aus seiner Sicht ein gutes Vorbild. Vor zehn Jahren wurde das Gremium eingerichtet, mit Geschäftsstelle direkt im Kanzleramt, die Leitung übernahm der frühere Bahn-Chef Johannes Ludewig. Im Herbst zog Ludewig sehr zufrieden Bilanz: Das beim Start vorgegebene Ziel, die auf 50 Milliarden Euro bezifferte Bürokratielast der Unternehmen um ein Viertel zu reduzieren, habe man schon vor vier Jahren erreicht. Bewährt habe sich auch die „One in one out“-Regel, nach der für jede neue Vorschrift eine alte gestrichen werden soll.

Wider übertriebenen Perfektionismus

Auf Landesebene werden zwar weit weniger Gesetze gemacht, aber Regeln zu deren Umsetzung, Richtlinien oder Verwaltungsvorschriften. Auch für Baden-Württemberg plant Murawski daher einen Normenkontrollrat, mit enger Anbindung an die Regierungszentrale. Über seine Vorstellungen hat er dem Kabinett bereits Bericht erstattet. Regeln seien notwendig, sagt er, aber „kein Perfektionismus, der nicht zu Ende denkt, was er bewirkt“.

Ein Paradebeispiel ist für ihn die neue Richtlinie für Immobilienkredite, die deutlich übers Ziel hinausgeschossen sei; Deutschland wollte damit mehr tun, als von der EU verlangt. Auf Betreiben von Baden-Württemberg und Hessen wurde sie inzwischen entschärft.

Das geplante Gremium soll zunächst vorrangig neue Regeln unter die Lupe nehmen. Keine soll mehr ohne das Plazet der Bürokratie-Bekämpfer erlassen werden. Mit bestehenden Vorschriften soll sich das Gremium nur dann beschäftigen, wenn Hinweise aus der Bürgerschaft kommen. Murawskis Ziel ist es, das Land „ein Stück weit bürgerfreundlicher zu machen“.

CDU-Frau Meister-Scheufelen als Chefin

Zentrale Bedeutung hat für ihn die Zusammensetzung. Neben Verwaltungsexperten sollen darin auch Fachleute anderer Disziplinen vertreten sein, etwa von Kirchen oder Gewerkschaften. Erwünscht seien möglichst vielfältige Sichtweisen. Zur konkreten Zusammensetzung des Gremiums äußert sich die Landesregierung noch nicht. Hinter den Kulissen haben sich die Koalitionäre nach StZ-Informationen aber bereits auf eine Vorsitzende verständigt: die frühere CDU-Politikerin Gisela Meister-Scheufelen (60), einst Amtschefin im Finanzministerium, Wirtschafts-Staatssekretärin in Berlin und zuletzt Kanzlerin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Deren Finanzkrise wurde maßgeblich ihr angelastet, weshalb Überlegungen aus der CDU, die Juristin zur Chefin des Landesrechnungshofs zu machen, als wenig aussichtsreich gelten. Abgesehen von den Turbulenzen bei der DHBW genoss Meister-Scheufelen einen hervorragenden Ruf als Verwaltungs- und Finanzexpertin. Den Vorsitz des Kontrollrats soll sie offenbar ehrenamtlich übernehmen. Unterstützt wird das Gremium von einer Geschäftsstelle im Staatsministerium, für die bereits drei Stellen im Haushalt veranschlagt sind.

2017 will die Regierung einen Gesetzesvorschlag in den Landtag einbringen. Dieser könnte bis zum Herbst beschlossen werden, so dass der Kontrollrat noch 2017 seine Arbeit aufnehmen könnte. Dass Baden-Württemberg dem Vorbild des Bundes folgt, ist nicht ohne Pikanterie: Das Modell des Ombudsmanns, hatte Ministerpräsident Günther Oettinger einst verkündet, könne auch für den Bund ein Vorbild sein.