Hat die EnBW die Betriebsrentenansprüche etlicher Mitarbeiter zu Recht gekürzt? Mit dieser Frage befasst sich das Landesarbeitsgericht Stuttgart in einem zweitägigen Verhandlungsmarathon, in dem 88 Fälle behandelt werden.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Wie gut oder schlecht ging es der EnBW 2004 und in den Jahren davor? Diese Frage steht im Mittelpunkt eines Verhandlungsmarathons am Landesarbeitsgericht (LAG) in Stuttgart. Sieben Kammern beschäftigen sich zwei Tage lang mit den Betriebsrentenansprüchen von 88 EnBW-Mitarbeitern. Nach drei Verhandlungen am Donnerstag folgen an diesem Freitag weitere vier. Seine Entscheidungen wird das LAG voraussichtlich am Freitagabend verkünden.

 

Im Kern geht es in dem Rechtsstreit um eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2004, die für etliche langjährige EnBW-Mitarbeiter eine erhebliche Kürzung der Betriebsrentenansprüche zur Folge hatte. Der Stuttgarter Arbeitsrechtler Uwe Melzer, der die Arbeitnehmer vertritt, spricht von monatlichen Einbußen zwischen 700 und 1100 Euro. Die Betroffenen, von denen viele noch nicht im Ruhestand sind, waren ursprünglich bei den Vorgängerunternehmen EVS (Energie-Versorgung Schwaben), TWS (Technische Werke der Stadt Stuttgart) und NWS (Neckarwerke Stuttgart beschäftigt und kamen durch Fusionen und Übernahmen unter das Dach der EnBW.

Einsparungen von einer Milliarde Euro im Jahr

Der Karlsruher Konzern sah sich zu Beginn der 2000er-Jahre in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation und beschloss deshalb 2002 das Sparprogramm „Topfit“, mit dem die EnBW Kostensenkungen von einer Milliarde Euro im Jahr erzielen wollte. Jährlich zehn Millionen Euro sollten bei den Betriebsrenten eingespart werden, was zum Abschluss der Betriebsvereinbarung von 2004 führte – gegen die eine ganze Reihe von Mitarbeitern geklagt hat. Sie fordern, dass ihre Altersbezüge weiterhin nach den für sie günstigeren Regelungen ihrer früheren Arbeitgeber berechnet werden. Demnach stehen ihnen – zusammen mit der gesetzlichen Rente – im Ruhestand teilweise 75 Prozent des letzten Gehalts zu. Zudem sollten eventuelle Kürzungen der gesetzlichen Rente vom Unternehmen ausgeglichen werden.

Rechtsanwalt Melzer erklärt die beamtenähnliche Altersversorgung mit den relativ niedrigen Gehältern in der Energiewirtschaft, die sich seinerzeit am öffentlichen Dienst orientiert hätten. „Ohne die attraktive Altersversorgung wären damals doch alle zu Daimler oder Bosch gegangen“, meint Melzer. Deshalb müssten die Zusagen heute auch eingehalten werden.

Melzer bezweifelt, dass die EnBW beim Abschluss der Betriebsvereinbarung im Jahr 2004 so schlecht dastand, dass ein derart massiver Eingriff in die Versorgungsansprüche gerechtfertigt sei. Er zitiert dazu eine EnBW-Pressemitteilung zum Geschäftsjahr 2004, in der der damalige Konzernchef Utz Claassen schwärmte: „Mit diesen Zahlen hat der EnBW-Konzern bereits im ersten vollen Geschäftsjahr seines Neuausrichtungsprozesses das beste gesamthafte Ergebnis erreicht, das er im Rahmen des voll umfänglich deregulierten Marktes je operativ erzielt und verdient hat.“ Melzer verweist auch auf die Millionenbezüge und die überaus großzügige Altersversorgung Claassens sowie auf den Abschluss eines Sponsorenvertrags mit dem VfB Stuttgart, um zu belegen, dass es der EnBW gar nicht so schlecht gegangen sei.

EnBW-Anwälte: Einschnitte sind gerechtfertigt

Die Anwälte der EnBW argumentieren, dass es nicht sinnvoll sei, die wirtschaftliche Lage nur zu einem bestimmten Stichtag zu bewerten. Man müsse vielmehr einen längeren Zeitraum heranziehen. Fakt sei, dass der Konzern sein Gesamtkonzept zur Kostensenkung – das auch viele andere Bereiche umfasste – 2004 erst zur Hälfte umgesetzt habe. Die Einschnitte bei der Betriebsrente seien daher gerechtfertigt und basierten auf einer vernünftigen unternehmerischen Entscheidung.

Um ihre Positionen zu untermauern, berufen sich beide Seiten auf Kennzahlen wie Eigenkapital, operative Gewinne oder Abschreibungen. „Jeder versucht aus den Zahlen das für ihn günstigste Ergebnis herauszupicken“, sagte der Vorsitzende Richter der 4. Kammer, Roland Stöbe am ersten Verhandlungstag. Er ließ nicht durchblicken, in welche Richtung die für diesen Freitag angekündigten Entscheidungen gehen könnten.

In erster Instanz hatten die Kläger 2011 vor mehreren Arbeitsgerichten Recht bekommen. Auch das Landesarbeitsgericht als zweite Instanz entschied 2013 mehrfach zu Gunsten der EnBW-Beschäftigten. Das Bundesarbeitsgericht hob jedoch mehrere dieser Urteile im Dezember 2014 und im Juni 2015 auf und verwies die Verfahren zur neuen Verhandlung an das LAG zurück. Das LAG habe die Latte für den Nachweis der schwierigen wirtschaftlichen Situation durch die EnBW zu hoch gelegt, argumentierte das Bundesarbeitsgericht. Welche Kriterien dabei wie herangezogen werden sollen, ließ das höchste deutsche Arbeitsgericht allerdings offen. Das dürfte dem LAG seine Entscheidungen nicht erleichtern.