Die Württembergische Landesbibliothek sah sich schon auf der sicheren Seite. Der Bau der dringend benötigten Erweiterung sollte im Frühjahr 2015 beginnen. Doch jetzt könnte alles anders kommen.

Stuttgart - Es ist ein Wechselbad der Gefühle für Hannsjörg Kowark, Direktor der Landesbibliothek. Noch in der druckfrischen Ausgabe des „WLB-Forum“ verkündet er den Lesern seine „erfreuliche Botschaft“: Nach langem Kampf stünden die 52 Millionen für den Erweiterungsbau der Württembergischen Landesbibliothek (WLB) endlich bereit, und die Bauunterlage habe grünes Licht vom Finanzministerium bekommen. Erleichterung und Freude sprechen aus den Zeilen. Doch das war womöglich verfrüht.

 

Inzwischen sieht Kowark eine weitere Verzögerung von rund einem Jahr auf sich zukommen. Grund wäre diesmal nicht das Geld, sondern der Landtag – genauer gesagt dessen Pläne für ein neues Besucher- und Medienzentrum. Mit der Realisierung soll zur selben Zeit begonnen werden wie mit dem Erweiterungsbau der WLB: im Frühjahr 2015. Aber das geht nicht. Bei zwei benachbarten Baustellen, bei denen das Grundwasser aus der Baugrube abgepumpt werden soll, zieht das Amt für Umweltschutz die Reißleine. Grund: der Wasserspiegel darf nicht zu weit absinken.

Angst vor einer rein politischen Entscheidung

„Dass der Landtag den Bau zeitgleich plant, haben wir durch die Architekten erfahren“, sagt Kowark. Jetzt werde wohl entschieden, welches Projekt eine höhere Priorität bekomme. Gute Chancen rechnet sich der Bibliotheksdirektor im Wettstreit um den Baustart nicht aus. „Ich habe große Sorge, dass der Landtag das Rennen machen wird – weil es eine politische Entscheidung ist.“

Seit Jahren arbeitet Kowark auf die dringende Erweiterung hin. Eigentlich war die Eröffnung des Neubaus zunächst für 2015 anvisiert, inzwischen ist jedoch von Ende 2017 die Rede. Das bedeutet zwei weitere Jahre, in denen die Bibliothek den stetig wachsenden Bestand hin- und herschichten muss, um überhaupt mit den viel zu kleinen Räumen auszukommen. Da schmerzt jeder weitere Monat.

Der Direktor sieht das Ende der Fahnenstange erreicht

Baue nun zuerst der Landtag, könne an der WLB erst im darauffolgenden Frühjahr begonnen werden. Wäre Kowark ein Choleriker, würde er deswegen vielleicht aus der Haut fahren. Aber so schüttelt er nur den Kopf und sagt: „Wir sind am Ende. Wir sind wirklich am Ende.“

Jedes Jahr Verzögerung kostet 2,5 Millionen Euro

Der 1970 eröffnete Bau zwischen Konrad-Adenauer-Straße und Urbanstraße platzt schier aus den Nähten. Deshalb mussten die Hüter der Bücher als Ausweichquartier bereits eine Lagerhalle in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) anmieten. Auch dort ist längst die Kapazitätsgrenze erreicht. Rund sechs Millionen Bücher verwahrt die WLB bereits, und Jahr für Jahr wächst der Bestand um circa 80 000 weitere Exemplare. Rund 40 Prozent davon kommen schon deshalb ins Haus, weil die WLB die Aufgaben hat, alle Bücher zu sammeln, die in Württemberg erscheinen.

Dass Kowark jetzt gebeten wurde auszurechnen, was eine weitere Bauverzögerung kosten würde, nährt seine schlimmsten Befürchtungen. Die Summe hat er parat. Ein zweites Lager müsste angemietet, ein Magazin eingerichtet, zusätzliches Personal beschäftigt werden. Hinzu kommt, dass die Spareffekte durch die neuen Räume und die neue Technik entsprechend später zu Buche schlagen würden. „Pro Jahr wird es das Land 2,5 Millionen Euro mehr kosten.“

Das Finanzministerium lässt weiter prüfen

Frank Kupferschmidt, Sprecher des Finanzministeriums, bestätigt, dass zwischen WLB und Besucherzentrum „eine Terminabhängigkeit“ besteht. Es gebe eine zeitliche Überschneidung bei der Wasserhaltung. Das Landtagspräsidium habe Anfang April die Entscheidung zum Bürgerzentrum gefällt, mit der Entwurfsplanung wurde im Mai begonnen. Beides dürfe nicht parallel bei offenem Wassermanagement gebaut werden, das widerspreche der Heilquellen-Schutzverordnung. Eine Verschiebung des Baustarts bei der Landesbibliothek will das Finanzministerium derzeit aber nicht bestätigen – dementieren allerdings auch nicht. Die Baumaßnahmen müssten „entflochten“ werden – idealerweise so, dass sich für keinen eine untragbare Verzögerung ergebe, sagt Kupferschmidt. „Wir sind Dienstleister für beide Nutzer.“ Die Hochbauverwaltung prüfe derzeit die Möglichkeiten. In einigen Wochen wisse man mehr.

Denn auch der Landtag sieht Handlungsbedarf. „Die räumlichen Verhältnisse im Landtagsgebäude sind äußerst beengt. Durch den Bau eines Bürger- und Medienzentrums soll hier Abhilfe geschaffen werden“, teilt Pressesprecher Quintus Scheble mit. In dem neuen Zentrum sei dann ausreichend Platz vorhanden für die Betreuung von Besuchergruppen. Auch Ausschusssitzungen, Tagungen, Seminare, Vorträge sowie Pressekonferenzen könnten dort stattfinden.

Kowark trifft sich Ende Juli mit Vertretern des Finanzministeriums. Seine Sorge ist, dass bis dahin die Entscheidung gefallen ist und die WLB das Nachsehen hat. „Eine Inbetriebnahme Ende 2017 ist bei uns wirklich der letzte Termin, um unsere Bestände noch unterzubringen.“

Die Pläne der Landesbibliothek

Der sechsgeschossige Ergänzungsbau soll nordwestlich vom Altbau der Landesbibliothek entstehen und über einen Steg mit diesem verbunden werden. Der Zugang erfolgt dann über den Neubau. Im Erdgeschoss sind Information, Ausstellungsfläche, Vortragssaal und Leihstelle mit Selbstverbuchung vorgesehen. In den oberen vier Geschossen sollen rund 500 000 Bände stehen, die auf Leseplätzen entlang der Fenster genutzt werden können. Geplant ist zudem eine moderne Buchförderanlage und die Umgestaltung des Altbaus.