Der Schulterschluss mit Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik bereitet Ministerpräsident Winfried Kretschmann Freude: Kann er doch so den Streit in der Union offenlegen. Das ist misslich für seinen Herausforderer bei der Landtagswahl.

Pforzheim - Edith Sitzmann, die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, ist tief beeindruckt von dieser Frau, deren „klare und menschliche Haltung“ sich so wohltuend unterscheide von dem „Pegida-Sound“, in dem der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf über die Flüchtlingspolitik schwadroniere. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann schätzt die Frau, bekundet gar seine Hochachtung vor ihr, dass sie „trotz des Gegenwinds aus den eigenen Reihen, nicht zuletzt aus Baden-Württemberg“, immer wieder betone: „Wir schaffen das.“ Ein weiterer Redner auf dem Parteitag in Pforzheim bietet Kanzlerin Angela Merkel – so heißt die viel Bewunderte – gar Aufnahme bei den Grünen an, sollte sie es bei ihren Leuten nicht mehr aushalten. „Sie müsste sich bei den Grünen an ein paar Regeln gewöhnen, die sie von der CDU nicht kennt, aber wir würden sie schon integrieren“, sagt er.

 

Merkel ja, Wolf nein: Für seinen Herausforderer findet Kretschmann in seiner Spitzenkandidatenrede – er erhielt am Ende fast 97 Prozent – kein Wort. Das Beschweigen des Gegners gehört zur Wahlkampftaktik. Amtsinhaber beschäftigen sich nicht ihren Konkurrenten, das wertet diese nur auf. Auch seinen bayerischen Amtskollegen Horst Seehofer nennt Kretschmann nicht namentlich, obwohl er sich mit den Lautgebungen der CSU durchaus beschäftigt. Schon aus ganz pragmatischen Gründen will Kretschmann die Arbeitsbeziehungen mit dem Nachbarland nicht beschädigen, und Seehofer ist nachtragend, gerade bei Kretschmann. Die beiden scheinen sich ernstzunehmen.

Die Klaren und die Unklaren

Also sagt Kretschmann auch ohne Nennung von Namen: Zäune und Stacheldraht würden bei einer „Flüchtlingsbewegung dieses Ausmaßes schlicht überrannt. Man bräuchte schon eine Mauer mit Schießbefehl wie an der DDR-Grenze, um einen Aufnahmestopp in Deutschland durchzusetzen. Das kann ja wohl kein deutscher Politiker ernsthaft wollen.“ Kein Aufnahmestopp für Flüchtlinge, keine Grundgesetzänderung. „Wir sind da ganz klar“, sagt Kretschmann. „Am Grundrecht auf Asyl darf nicht gerüttelt werden.“ Er kommt wieder auf die Kanzlerin zu sprechen und zeigt sich froh, dass auch Angela Merkel in diesem Punkt eine klare Haltung beweise.

Klare Ansagen, klare Haltung, klare Positionen: Klarheit ist ein Schlüsselbegriff Kretschmanns in diesen Tagen. Unklar aber ist zum Beispiel, wie viele Flüchtlingen noch kommen. Unklar ist auch, und auch deshalb bemüht Kretschmann das Wort Klarheit so gern, wie sein Gegenspieler Guido Wolf zu alledem steht. Vor allem: Steht Wolf zu Merkel oder zu Seehofer? Wolf, so lautet die Botschaft, ist unklar.

Weniger Wirtschaftsflüchtlinge

Bis zur Eskalation des Streits zwischen der Kanzlerin und dem bayerischen Ministerpräsidenten hatte Wolf stets eine „differenzierte Position“ für sich beansprucht, die darauf hinauslief, dass zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und tatsächlich politisch Verfolgten streng zu trennen sei. Damit war er auf der Zeitleiste so etwa im Frühsommer klarer als Kretschmann, der im Grunde derselben Ansicht war, seine Partei in der Breite aber noch nicht so weit hatte und Rücksicht nehmen musste. Inzwischen aber hat Wolfs Unterscheidung an Relevanz verloren. Der Flüchtlingszustrom vom Balkan ging zurück, die Mehrheit derer, die jetzt kommen, sind Menschen, die vor Krieg, Bomben und religiösen Fanatikern fliehen. Wenn das, was bisher galt, auch weiter gilt, dürfen sie bleiben. Und Wolfs beständiger Hinweis, nicht jeder, der sich kritisch zur Flüchtlingspolitik äußere, wird von SPD und Grünen als besonders verdruckte Form der Verbreitung von Ressentiments kritisiert.

Wolf bleibt allerdings noch das Argument, dass es der politische Kultur auch nicht guttut, wenn alle Politiker so reden wie die Kanzlerin. Eine eigene Linie hat er indes noch nicht gefunden. So halten die einen in der Südwest-CDU Merkel die Treuen, anderen hoffen auf Seehofer.