Max Munding, Präsident des Landesrechnungshofs, reagiert bei der Aufklärung des EnBW-Coups seltsam defensiv und bremst einen Kollegen aus.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war ein schöner Erfolg für den Landesrechnungshof. Glasklar bestätigte der baden-württembergische Staatsgerichtshof, was die Karlsruher Prüfer bereits drei Monate zuvor in ihrer Denkschrift festgestellt hatten: Mit der Inanspruchnahme der Notbewilligungsklausel habe die schwarz-gelbe Regierung das Haushaltsrecht des Parlaments verletzt und somit die Verfassung gebrochen.

 

Es ging, im Jahr 2007, um 58 Millionen Euro für die auf Drängen der FDP privatisierte Bewährungshilfe. Dreieinhalb Jahre später, beim EnBW-Deal, ging es um das Hundertfache dieses Betrages. Doch der Umgang des Rechnungshofes mit den beiden - abgesehen von der Dimension - frappierend ähnlich gelagerten Fällen unterscheidet sich fundamental.

Präsident der Kontrollbehörde reagiert defensiv

Während die Kontrollbehörde unter dem früheren Präsidenten Martin Frank (CDU) ganz im Sinne ihres Auftrages agierte, das Haushaltsgebaren des Landes zu überwachen, reagierte sie unter dessen Nachfolger Max Munding (CDU) seltsam defensiv. Die gleichen Prüfer, die sich sonst auch um Kleinbeträge kümmern und darob zuweilen als "Erbsenzähler" gescholten werden, blieben bei dem Milliardendeal fast durchweg untätig. Mehr noch: Munding ließ eine Initiative aus den eigenen Reihen, das Geschäft offiziell zu prüfen, sogar bewusst ins Leere laufen.

Vom Coup des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) war der Rechnungshof am 6. Dezember 2010 genauso überrascht wie die gesamte Öffentlichkeit. Schnell kam die Frage auf, was denn die Finanzkontrolleure zu der erkennbar trickreichen Transaktion sagten. Doch Mundings knappe Erklärungen zeugten vor allem von dem Bemühen, die CDU/FDP-Regierung drei Monate vor der Wahl nicht zu deutlich zu kritisieren. "Wir halten es für legitim, dass eine Unternehmensbeteiligung in dieser Dimension (...) vertraulich angebahnt und vorbereitet wird", ließ er auf Medienanfragen erklären. Die weiteren Schritte müssten nun im gesetzlich vorgegebenen Verfahren unter Beteiligung des Landtags erfolgen; der treffe letztlich die Entscheidung. "Vorbereitende Verträge können auch davor geschlossen werden, sofern sie Vorbehaltsklauseln enthalten."

Teile des Kollegialorgans wurden ausgesperrt

Damit war der Knackpunkt, der fehlende Parlamentsvorbehalt, zwar angesprochen, aber möglichst moderat. Für das "Wir" hatte der Präsident allerdings kein Mandat: Der aus ihm, seinem Vize Günther Kunz und den fünf Mitgliedern bestehenden Senat hatte sich mitnichten eine Meinung gebildet - und konnte das auf der dürren Faktengrundlage auch gar nicht. Teile des Kollegialorgans wurden sogar - entgegen den Usancen - ausgesperrt, als der Finanzausschuss am 14. Dezember in nichtöffentlicher Sitzung über den EnBW-Deal beriet. Nur Munding, Kunz und die fürs Finanzministerium zuständige Direktorin Hilaria Dette waren zugelassen. Was er dort gesagt hatte, wollte der Chefprüfer wegen der strengen Vertraulichkeit zunächst nicht verraten. Er habe "die Inanspruchnahme des Notbewilligungsrechts nicht gebilligt", behauptet er heute. Doch sein Stellvertreter Kunz, wird berichtet, habe sich über die Sitzung "wahnsinnig aufgeregt". Der Grund ließe sich leicht im Protokoll feststellen, aber das wird bis heute unter ungewöhnlich strengem Verschluss gehalten - aus rätselhaften Gründen.

Doch nicht alle Chefprüfer wollten es beim Wegducken bewenden lassen. Noch im Dezember kam aus ihren Reihen der erste informelle Vorstoß, den EnBW-Deal offiziell aufzugreifen, im Februar dann auch ein formeller - schriftlich an den Präsidenten. Schließlich wurde das Thema unter dem Punkt "Verschiedenes" im Senat aufgerufen. Die Beratung dort erfolgte wie stets geheim, lässt sich aber zumindest grob rekonstruieren. Die zuständige Direktorin Dette ergriff danach keine Initiative, eine Prüfung einzuleiten. Ein eigentlich nicht zuständiger Kollege empfahl hingegen dringend, der Rechnungshof müsse sich des dubiosen Milliardengeschäfts annehmen; in Angelegenheiten von "besonderer Bedeutung" sind dazu alle Chefprüfer berechtigt. Doch der Präsident wimmelte das Begehren ab, ohne dass darüber abgestimmt wurde. Ob einer der Chefprüfer per Mehrheitsbeschluss zum Jagen getragen werden kann, ist ohnehin strittig.

Mundings Begründung für die Untätigkeit

"Der Präsident hat (...) keine Prüfung verhindert", lässt Munding heute erklären - was rein formal stimmen mag. Seine Begründung für die Untätigkeit: Da es im Kern um eine "rein verfassungsrechtliche Frage" gegangen sei, deren Prüfung beim Staatsgerichtshof anstand und "deren Sachverhalt feststand", wäre "eine eigenständige Prüfung des Rechnungshofs nicht weiterführend gewesen". Das ist eine in mehrerlei Hinsicht fragwürdige Auskunft.

Im Kern mag es um eine Rechtsfrage gegangen sein, aber eben auch um das ureigenste Revier der Kontrollbehörde - den Landeshaushalt. Der Sachverhalt stand weder damals noch heute wirklich fest; vielmehr werden immer neue, merkwürdige Einzelheiten des Deals bekannt. Und weiterführend wäre eine Prüfung schon allein deshalb gewesen, weil sich die Prüfer umgehend, wie üblich, aus den beteiligten Ministerien die Akten geholt hätten. Dann hätten sie entweder noch vorhandene Unterlagen sichern können - oder schon damals festgestellt, dass es keine gab.

Auch Dette ist in der Behörde nicht unumstritten

Inoffiziell wird aus dem Rechnungshof noch eine andere Begründung genannt: Man habe nicht in den Wahlkampf eingreifen wollen. Das widerspräche zwar dem Leitbild, wonach die Behörde ihren Auftrag unabhängig und objektiv wahrnimmt, erscheint aber keineswegs lebensfremd. Merkwürdig wäre es gleichwohl: Ein Deal, der erkennbar auf den Wahltag zielte, könnte vorher nicht untersucht werden? Das Ergebnis wäre ohnehin erst danach, bei der Vorstellung der Denkschrift im Sommer publik geworden.

Beim Loben war die Behörde trotz des Wahlkampfes nicht so zurückhaltend: "Vorbildlich" habe die schwarz-gelbe Landesregierung das Konjunkturprogramm umgesetzt, teilte sie im Februar mit - ein für die Karlsruher ungewohnt überschwängliches Kompliment. Die Sicht der Regierung ist den maßgeblichen Chefprüfern übrigens nicht fremd: Munding war vor seinem Wechsel zum Rechnungshof Abteilungsleiter in der CDU-geführten Staatskanzlei, Dette dort Referatsleiterin. Die neue Rolle, sagte der Präsident kurz nach seinem Amtsantritt 2009, sei für ihn "natürlich ein Front- und Kulturwechsel". Wie weit er den wirklich vollzogen hat, darüber gehen die Ansichten auch hofintern auseinander. Auch Dette ist in der Behörde nicht unumstritten, wie schon im Staatsministerium.

Auf Dauer will sich der Rechnungshof dem wohl brisantesten landespolitischen Thema der vergangenen Jahre übrigens nicht verweigern. Man schließe "eine künftige Prüfung der Landesbeteiligung an der EnBW und damit zusammenhängender Fragenkreise nicht aus", verblieb Munding.

Der Landesrechnungshof

Ziele: Der Rechnungshof versteht sich als Kontroll- und Beratungsinstanz in allen Fragen, die die Finanzen des Landes betreffen. Er unterstützt den Landtag, die Regierung und die Verwaltung „bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben“, steht im Leitbild der Karlsruher Behörde. Ziel sei der „bestmögliche Einsatz“ und die „Schonung der finanziellen Ressourcen des Landes“. Weiter heißt es: „Wir identifizieren uns mit unserem Auftrag und sind uns der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit bewusst.“

Arbeit: Die Spitze des Rechnungshofes, der Senat, besteht aus dem Präsidenten, seinem Stellvertreter und fünf Direktoren. Wer wofür zuständig ist, ist im Geschäftsverteilungsplan festgelegt; der Präsident oder sein Vize haben eine übergreifende Zuständigkeit. Beschlüsse fällt der Senat entweder mehrheitlich oder mit den Stimmen der zuständigen Mitglieder. In Fällen „von wesentlicher Bedeutung“ kann auch jeder nicht zuständige Direktor eine Entscheidung verlangen. Die Chefprüfer sind unabhängig wie Richter. Pflichtverstöße kann der Landtagspräsident durch das Richterdienstgericht prüfen lassen.