Hat die grün-rote Landesregierung ihre Versprechen gehalten? Am Ende der Legislaturperiode untersucht die Stuttgarter Zeitung, was auf zentralen Politikfeldern geschehen ist.

Stuttgart - Wirkt sich Landespolitik direkt auf das Leben der Bürger aus? Diese Frage kann die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) mit einem klaren Ja beantworten. Die Hochschulpolitik der grün-roten Landesregierung hat sich buchstäblich ausgezahlt – zumindest für die Studierenden und ihre Eltern. Gleich zu Beginn ihrer Regierungszeit haben Grüne und SPD zum Sommersemester 2012 die Studiengebühren abgeschafft. Seit dem Sommersemester 2007 mussten die Studierenden in Baden-Württemberg 500 Euro pro Semester aus eigener Tasche bezahlen. Das spülte im Jahr 2010 knapp 140 Millionen Euro in die Kassen der Kanzler.

 

Auf die Einnahmen mussten die Hochschulen dennoch nicht verzichten. Das Land kompensiert seit 2012 die entgangenen Gebühren. Pro Student und Semester überweist die Regierung den Hochschulen 280 Euro. Das werten alle Beteiligten als fair, wegen zahlreicher Ausnahmeregelungen waren ohnehin 44 Prozent der Studierenden von den Gebühren befreit, ermittelten die Statistiker.

Kraftakt Finanzierungsvertrag

Die Abschaffung der Studiengebühren war wohl die publikumswirksamste Tat in der Hochschulpolitik. Der Kraftakt der Legislaturperiode im Wissenschaftsministerium war aber die Neuregelung der Hochschulfinanzierung. Mit dem neuen Hochschulfinanzierungsvertrag „Perspektive 2020“ hat Baden-Württemberg den Finanzrahmen für seine neun Universitäten und 38 Hochschulen bis zum Jahr 2020 neu abgesteckt.

1,7 Milliarden Euro mehr stellt das Land seinen Hochschulen bis zum Ende der sechsjährigen Vertragslaufzeit zur Verfügung. Vom Jahr 2020 an sollen sie jährlich mehr als drei Milliarden Euro erhalten. Als erstes Bundesland geht Baden-Württemberg dabei bundesweit voran und setzt die Empfehlung des Wissenschaftsrats um: Um drei Prozent wird die Grundfinanzierung der Hochschulen jedes Jahr erhöht. Das lobten selbst die Rektoren: Hans Jochen Schiewer, der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der Universitäten, nannte den Vertrag „wegweisend für die Hochschulfinanzierung in Deutschland“. Die Opposition sprach davon, Ministerin Bauer schütte „das Füllhorn über den Hochschulen aus“.

Mit dem Vertrag setzt Grün-Rot die Reihe der Solidarpakte mit den Hochschulen fort. Allerdings ist der Finanzierungsvertrag „Perspektive 2020“ der erste seit 1997, der den Hochschulen zusätzliches Geld bringt. Die beiden Vorgängerverträge von 1997 und 2007 sahen entweder Einsparungen oder die Deckelung der Ausgaben vor.

Studienplätze bleiben erhalten

In der neuen Vereinbarung bleiben die 22 500 neuen Studienplätze erhalten, die für den doppelten Abiturientenjahrgang im Jahr 2012 geschaffen worden waren. Die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hatte stets auf der Basis verhandelt, „mit einem Rückgang der Studierendenzahlen ist nicht zu rechnen“. Zumindest nicht während der Laufzeit des Vertrags. Grün-Rot hatte seit 2011 einen Studentenrekord nach dem anderen zu versorgen.

Das Geld aus den Ausbauprogrammen fließt jetzt in die Grundfinanzierung. Die Opposition spricht vom „Prinzip linke Tasche, rechte Tasche“. Die Hochschulen haben aber die Planungssicherheit erhalten, die sie gewünscht hatten. Jedoch sind die Bäume an den Einrichtungen nicht in den Himmel gewachsen. 3800 neue Stellen könnten die Hochschulen durch den Pakt schaffen, jubelte die Wissenschaftsministerin. Doch die meisten wurden schlicht entfristet. „Die Spielräume sind bei weitem nicht so groß, wie die Zahlen suggerieren“, warnte Bastian Kaiser, der Sprecher der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.

Abkehr von der „unternehmerischen Hochschule“

Das zweite Großvorhaben, das das Wissenschaftsministerium erledigt hat, ist die Änderung des Landeshochschulgesetzes. „Das Leitbild der unternehmerischen Hochschule hat noch nie zu den Hochschulen gepasst“, schrieben Grüne und SPD in ihrem Koalitionsvertrag. Dieses Leitbild hatte der CDU-Wissenschaftsminister Peter Frankenberg vorangetrieben. Grün-Rot trat an, „demokratische Strukturen an den Hochschulen zu stärken“. Die Besetzung der Hochschulräte, der Aufsichts- und Beratergremien der Hochschulen, hielt die Koalition für zu wirtschaftslastig, sie wollte „die gesellschaftliche Vielfalt“ stärker abgebildet haben. In den Vorgaben blieb die Regierung aber zurückhaltend. Lediglich eine Frauenquote von 40 Prozent ist festgeschrieben. Die Wirtschaft bleibt unzufrieden, in den Hochschulräten würden die „kompetentesten und unabhängigsten Köpfe gebraucht, keine politisch motivierte Steuerung“, klagen die Arbeitgeber unverändert.

Mehr Mitsprache sollten auch die Studierenden bekommen. Sehr zum Verdruss der Opposition hat die Regierung die Verfasste Studierendenschaft wieder eingeführt. CDU und FDP betrachten die Änderung von 2012 als „ideologisch motiviert“. Allerdings ist Baden-Württemberg damit dem Vorbild der anderen Länder gefolgt. Nur in Bayern gibt es keine Verfasste Studierendenschaft. Strittig ist in Baden-Württemberg, wie weit die Mitsprache gehen soll. Grün-Rot hat ein allgemeines politisches Mandat eingeführt. Die Opposition will den Studierenden nur Mitspracherechte in direkten Belangen der Universitäten und Hochschulen einräumen.

Misstöne durch die Musikhochschulen

Die Großvorhaben aus dem Koalitionsvertrag hat Theresia Bauer weitgehend unter allgemeinem Beifall erledigt. Die unverhofften Vorkommnisse haben sie manchmal in Bedrängnis gebracht. Die Musikhochschulen haben Schatten auf die Bilanz der zweimaligen Wissenschaftsministerin des Jahres geworfen. Bauer hatte den Widerstand der fünf Einrichtungen gegen vom Rechnungshof vorgeschlagene Kürzungspläne massiv unterschätzt. Am Ende waren die Beteiligten mit dem Krisenmanagement der Ministerin zufrieden. Sie hat auch auf die Kürzungen verzichtet. Noch nicht ausgestanden ist das Verfahren um die Ablösung der Rektorin der Verwaltungshochschule Ludwigsburg. Dabei hat Bauer keine glückliche Figur gemacht. Das letzte Wort haben die Richter.

Einzelne Bereiche im Schnellcheck

Die geplante Öffnung der Hochschulen

„Wir wollen mehr Menschen mit Migrationshintergrund ... und mehr ausländische Studierende an die Hochschulen bringen. Das Studium neben dem Beruf oder neben familiären Verpflichtungen muss leichter möglich sein.“

Soweit das Versprechen der Koalition zur Öffnung der Hochschulen. Die Sache mit den Ausländern hat nicht geklappt. Vor Antritt der grün-roten Regierung betrug der Anteil der ausländischen Studierenden im Wintersemester 2010/11 laut Statistischem Landesamt 12,5 Prozent. Vier Jahre später lag er bei 12,7 Prozent. Nachholbedarf gibt es auch bei der Verbindung von Studium und Beruf oder Familie. Ein formelles Teilzeitstudium belegten den Statistikern zufolge vor vier Jahren 3365 Personen (1,1 Prozent). 2014/15 waren es 6732 (1,9 Prozent) und damit fast doppelt so viele wie ein Jahr zuvor. 2014 lief das erste Programm zur Förderung des berufsbegleitenden Studiums an.

Zusätzliche Masterstudiengänge

„Wir werden dem vom 2011 bis 2016 steigenden Bedarf an Master-Studienplätzen durch ein gestuftes Ausbauprogramm „Master 2016“ begegnen“.

Dieses Versprechen aus dem Koalitionsvertrag haben Grüne und SPD auf der Zielgeraden eingelöst. Noch im Januar hat das Kabinett die zweite Stufe des Ausbauprogramms beschlossen. Die Hochschulen können zum Wintersemester 2016/17 und zum Studienjahr 2017/18 insgesamt 2200 neue Plätze für Masterstudenten einrichten. Insgesamt hat die Regierung damit in dieser Legislaturperiode 6300 neue Masterplätze geschaffen. Knapp die Hälfte der Plätze entfallen auf die Mintfächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Durch den Ausbau hat jeder zweite Bachelorabsolvent die Möglichkeit, ein aufbauendes Masterstudium anzuschließen. Das entspricht den Annahmen einer vom Wissenschaftsministerium eingesetzten Expertenkommission.

Die Koalition hatte aber auch versprochen, dass Bachelorabsolventen „mit ihrem Wunsch nach einem Studienplatz in einem Master-Studiengang“ nicht daran scheitern sollten, „dass die notwendigen Studienplätze fehlen“. Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung sagt, dass drei Viertel der Unistudenten und jeder zweite FH-Student einen Master machen möchte. Die Arbeitgeber wiederum warnen davor, durch zu viele Masterplätze die Bedeutung des Bachelorabschlusses zu schmälern.

Studienabbrüche reduzieren

„Wir wollen die Abbruchquote senken und mehr Studierende zum Erfolg führen, insbesondere durch innovative Konzepte zur Gestaltung der Studieneingangsphase“.

So lautet das Versprechen im Koalitionsvertrag. Handlungsbedarf besteht – auch in Baden-Württemberg. Dabei steht der Südwesten vergleichsweise gut da. Im vergangenen Jahr legte die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) vor, danach erreichen im Schnitt 18 von 100 Bachelorstudenten im Land den Abschluss nicht. Allerdings kann es sein, dass sie ihn außerhalb Baden-Württembergs ablegen. Andere Bundesländer weisen im Schnitt einen Schwund von 29 Prozent aus. Die Zahlen beziehen sich auf die Absolventen der Jahre 2011 und 2012. Neuere Schwundbilanzen gibt es nicht. Grün-Rot hat diverse Programme zur besseren Begleitung von Studienanfängern aufgelegt.