Im Prozess um einen bewaffneten Überfall reichen die Forderungen von sieben Jahren Haft bis Freispruch. Marc Schieferecke

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - So weit gehen die Meinungen selbst zwischen Staatsanwälten und Verteidigern selten auseinander: Die Staatsanwaltschaft will einen wegen Raubes angeklagten Mann sieben Jahre ins Gefängnis schicken. Mehmet Can, einer seiner beiden Verteidiger, fordert Freispruch. Sein Kollege Marc Reschke hält hingegen eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren für angemessen, höchstens und zur Bewährung.

 

So unterschiedlich wie die juristischen Wertungen sind die Sichtweisen auf das Tatgeschehen. Fest steht: Im September vergangenen Jahres klingelten zwei Männer an einer Wohnungstür in Sindelfingen. Sie forderten 10 000 Euro, Drogen und eine Frau. Einer der beiden zog eine Pistole. Er schlug immer wieder auf den Mann ein, der die Tür geöffnet hatte. Allerdings war das Opfer nicht der Gesuchte, sondern dessen Cousin, was den Tätern schnell klar war. Trotzdem ließen sie den Unbeteiligten leiden. Zwei Stunden dauerte die Tortur nach Aussage des Opfers. Die Verteidiger halten eine halbe Stunde für wahrscheinlicher. Am Ende gingen die Männer mit Bargeld, Schmuck und Uhren. Einige Tage später wurde von der Straße aus achtmal in die Wohnung geschossen.

Niemand zweifelt daran, dass die richtigen Männer angeklagt sind

Daran, dass die richtigen Männer auf der Anklagebank sitzen, zweifelt an diesem vorletzten Prozesstag niemand im Saal sechs des Landgerichts. Der Mann, der die Pistole mitgebracht hatte, hat die Tat zu Prozessbeginn gestanden. Er habe den Auftrag angenommen, 10 000 Euro Schulden einzutreiben. Sein Komplize leugnet nicht, in der Wohnung gewesen zu sein. Allerdings will er ahnungslos in das Geschehen hineingeraten sein. Er habe nur seinen Freund gefahren, ohne zu wissen, was Grund der Fahrt gewesen sei.

An fünf Prozesstagen ist es nicht gelungen zu klären, wie die angeblichen Schulden zustande kamen und welche Rolle die ebenfalls geforderte Frau spielte. Zeitweise hatte in der Wohnung eine Prostituierte mit den beiden Vettern gelebt. Abgesehen von Prostitution, spekulierten die Prozessbeteiligten über Drogengeschäfte, weil beides zu den Begleitumständen passt.

Die Männer hatten wissen lassen, sie seien im Auftrag der Osmanen gekommen, einer türkischen Rockergruppe. Weil auch ein Krieg verfeindeter Gangs nicht ausgeschlossen schien, hatte die Polizei den ersten Prozesstag mit einem Großaufgebot geschützt, das nicht übertrieben schien. Die Polizisten mussten eine Massenschlägerei vor dem Eingang des Landgerichts verhindern.

Für den Haupttäter will der Staatsanwalt eine geringere Strafe

Sechs Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft für den eigentlichen Haupttäter, den Mann mit der Pistole. Vor allem, weil sein umfangreiches Geständnis das Geschehen erhellte, soll die Strafe des 26-Jährigen ein Jahr geringer ausfallen als die seines Mittäters. Er wollte ursprünglich jede Aussage verweigern. Erst später hatte er seine Sicht auf die Tatnacht erklärt. Er habe keine Ahnung gehabt, was sein Bekannter in jener Wohnung wollte. Auch er habe das Geschehen eher erlitten als geduldet, aber keinen Widerspruch gewagt. Mitglied der Osmanen ist er nicht.

Tatsächlich hält auch die Staatsanwaltschaft für erwiesen, dass der 25-Jährige nicht zugeschlagen hat. Das Gericht wird entscheiden müssen, ob die Tat gemeinschaftlich und von beiden Männern wissentlich begangen wurde. Der Verteidiger Can ist der Meinung, dass die bloße Anwesenheit keine Tatbeteiligung war, mithin eine Verurteilung nicht zu rechtfertigen sei. Der Prozess habe keinen Beweis erbracht, dass sein Mandant lüge.

Was der zweite Angeklagte anders sieht: „Das Meiste soll auf mich abgewälzt werden, wie es aussieht“, sagte er in seinem Schlusswort. „Alle Beteiligten wussten Bescheid, und ich habe niemanden beeinflusst, mitzukommen.“ Am nächsten Dienstag wird das Urteil verkündet.