Ein Verfahren um eine Reihe von Raubüberfällen droht in einer Flut von Anträgen der Verteidigung zu ersticken. Sechs neue Termine sind angesetzt. Das Urteil sollte längst gesprochen sein.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Der Satz, der Gerichtsreportern üblicherweise als Schlussfloskel dient, empfiehlt sich ausnahmsweise zum Beginn: Der Prozess wird fortgesetzt. In diesem Verfahren um eine Serie von Raubüberfällen sollte das Urteil längst gesprochen sein. Stattdessen sind sechs weitere Verhandlungstermine angesetzt. Warum, belegt dieser Gerichtstag beispielhaft.

 

Der Angeklagte war laut der Staatsanwaltschaft der Kopf einer Bande, die für Straftaten in ganz Europa verantwortlich ist, vor allem für Raub, Entführung, Erpressung. Das Stuttgarter Landgericht verhandelt wegen einer Reihe von Raubüberfällen. Im spektakulärsten Fall fielen Maskierte mit Pistolen und einer Bombenattrappe in die damalige Daimler-Chrysler-Niederlassung in Holzgerlingen ein.

Bewegungsmuffel könnten nach diesem Prozesstag über Muskelkater klagen. Zwecks Respektsbekundung haben sich alle Beteiligten zu erheben, wenn das hohe Gericht den Saal betritt. Es verlässt und betritt ihn mal im 20-Sekunden-, mal im Fünf-Minutentakt. Der Pflichtverteidiger Moritz Schmitt scheint eine Bewerbung als derzeit unbeliebtester Anwalt im Landgericht einreichen zu wollen. Die Vorsitzende Richterin Manuela Haußmann wirft ihm vor, dass seine Anträge „dem Zweck dienen, das Verfahren zu verschleppen“.

Das Gericht berät über 25 Anträge – bis 13.45 Uhr

Denn an diesem Tag beschäftigt sich das Gericht fünf Stunden lang ausschließlich mit Schmitts Wünschen, unter anderem nach Sitzungsunterbrechungen. Den Vorwurf der Verschleppung weist der Anwalt von sich. Es ist 13.45 Uhr, 25 Anträge hat er bisher verlesen, darunter sieben auf Unterbrechung, eine Toilettenpause eingerechnet. Die Richter haben letzteren gebilligt, alle anderen abgelehnt. Allerdings fordert die Prozessordnung vor jeder Ablehnung eine geheime Beratung, und sei es nur für Sekunden vor der Tür des Saales. Das Publikum des Schauspiels erhebt sich, setzt und erhebt sich wieder.

Haußmann verliest die zähe Chronik diverser Prozesstage, an denen Schmitts Anträge noch gebilligt wurden – jedenfalls teilweise. Als Zusammenfassung taugt der 20. September. An diesem Tag reihten sich derart viele Pausen aneinander, dass letztlich nur 45 Minuten verhandelt wurde. Auch einen Antrag des Verteidigers auf Unterbrechung, weil er Kleingeld in die Parkuhr werfen wollte, wurde genehmigt.

Der Anwalt möchte auf Staatskosten nach England fliegen

Heute beantragt Schmitt unter anderem: Er wolle nach England fliegen, um einen Zeugen zu sprechen. Der Staat möge die Kosten übernehmen. Bei frühem Verhandlungsbeginn, sei ihm wegen Staus vor Stuttgart seine Anreise aus Mainz am selben Tag unzumutbar. Der Staat möge ihm Übernachtungen zahlen. Schmitt will einen Zeugen laden lassen, von dem die Polizei erklärt hat, dessen Name sei ebenso unbekannt wie der Aufenthaltsort. Schmitt argwöhnt, dies sei gelogen. Er wünscht sich ein Stimmgutachten aus einer Telefonüberwachung, allerdings aus Aufnahmen, die gelöscht sind. Er beantragt ein DNA-Gutachten aus einem Mietwagen, in dem der Angeklagte gesessen haben soll. Dies lehnt Haußmann ab, der Wagen sei seither mehrfach gereinigt worden. „Woher wissen Sie das?“, fragt Schmitt. Gleich, wer am Steuer saß: Seither sind 13 Jahre vergangen.

Nebenher setzt der Angeklagte eine Taktik fort, die er zum Prozessauftakt begründet hat. Damals wollte er eine 42-seitige Erklärung verlesen, auf Litauisch. In der gekürzten Übersetzung blieben 18 Seiten. Heute belehrt er die Richter über die Prozessordnung und kündigt an, vor internationalen Gerichten gegen diese Verhandlung vorzugehen. Bisher hat er sich nur national, in Briefen an das Oberlandesgericht, beklagt. Haußmann entzieht ihm das Wort. Der Prozess wird fortgesetzt.