Um sage und schreibe 20 Millionen Euro sollen zwei Männer mehrere Hundert Anleger betrogen haben. Die Geschädigten hatten in eine E-Zigarette investiert, die nie auf den Markt kam.

Stuttgart - Michael B. zeigt sich angriffslustig. „NicStic war kein Scheinprodukt und die Aktien waren nicht wertlos“, sagt der 63-jährige Angeklagte vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart. Mehr als 560 Anleger aus Deutschland, der Schweiz und aus anderen europäischen Ländern sollen er und sein gleichaltriger Mitangeklagter Heinz P. um rund 20 Millionen Euro betrogen haben. Beide stellen den Vorwurf in Abrede.

 

Der Mammutprozess, der seit Ende März 2014 läuft und bei dem bisher 160 Verhandlungstage absolviert sind, hat eine lange Geschichte. Ursprünglich hatte die 6. Wirtschaftsstrafkammer den Prozess am 26. Juli 2013 begonnen. Nach 28 Tagen war jedoch eine Richterin ausgefallen – der Prozess platzte. Denn anders als in Zivilverfahren muss ein Strafprozess von Beginn bis zum Urteil mit denselben Richtern und Schöffen besetzt sein. Die Präsidentin des Landgerichts Stuttgart, Cornelia Horz, kritisiert diese gesetzlich vorgegebene Regel. Ein Strafrichter oder eine -richterin könne sich durchaus so in ein laufendes Hauptverfahren einarbeiten, dass er oder sie dazustoßen könnte. Das würde die Arbeit vor allem der Wirtschaftsstrafkammern erleichtern, so Horz.

20 Millionen Euro sind weg

Der geplatzte Prozess wurde also am 25. März 2014 erneut begonnen. Der Vorwurf ist derselbe geblieben. Die Angeklagten sollen ihren Anlegern ein „einzigartiges Produkt mit hervorragender Zukunft“ und mit „enormem Wachstumspotenzial auf dem Weltmarkt“ versprochen haben: NicStic, eine E-Zigarette ohne Tabak, die nicht qualmt und die den Raucher ohne weitere gesundheitsschädliche Substanzen mit Nikotin versorgt.

Zwischen 2004 und 2007 sollen die Angeklagten kräftig und erfolgreich für den Nikotinstengel getrommelt haben. Das Ding wurde über Vertriebsgesellschaften, per Telefonakquise und mit groß aufgezogenen Werbeaktionen angepriesen. Unter anderem sponserte NicStic eine Miss-Germany-Wahl. Die Anleger ließen sich überzeugen und zeichneten Aktien im Wert von rund 20 Millionen Euro. Dumm nur, dass NicStic nie Marktreife erlangte. Laut Anklage sei das Produkt nie gebrauchsfähig und die NicStic AG chronisch unterkapitalisiert gewesen. Die Markteinführung 2006 fiel aus, das Geld der Anleger und die avisierten Renditen lösten sich in Rauch auf.

Ein Angeklagter regt sich auf

Der NicStic-Prozess sprengt den üblichen Rahmen. Die Ermittlungsakten umfassten bei Prozessbeginn 320 Stehordner. Inzwischen sind es 438 Ordner. Darüber hinaus wurden 118 Umzugskartons an Beweismitteln sowie 20 Computer, Laptops und Festplatten mit einem Datenumfang von sechs Terabyte sichergestellt. Die Kammer hat bisher über 80 Zeugen gehört, darunter 13 in der Schweiz. Die Verteidigung hat bis dato 17 Befangenheitsanträge gegen die Richter und 180 Beweisanträge gestellt. 1500 Urkunden wollen die Verteidiger verlesen haben und weitere 62 Zeugen sollen vernommen werden. Weil die Angeklagten gesundheitlich angeschlagen sind, ist bei jedem Prozesstag ein Rechtsmediziner anwesend.

Vor allem Michael B. macht von seinem Fragerecht ausgiebig Gebrauch – und er weist regelmäßig alle Schuld von sich. „Ich war weder wirtschaftlich noch juristisch an dem Produkt beteiligt“, sagt er. Die Aussage eines Kripobeamten, beide Angeklagten hätten NicStic beherrscht und hätten die wertlosen Aktien vertrieben, bringt Michael B. fast aus der Fassung. „Der setzt sich hier hin und lügt“, so der 63-Jährige. Er sei nicht der Hauptprofiteur der Aktienverkäufe gewesen.

Schillernde Figuren

Die beiden Männer sind schillernde Figuren. Michael B. schreibt über sich, er sei erfolgreicher Musikmanager, Finanzberater und Buchautor. Auf der ganzen Welt sei er mit Stars auf du und du. Heinz P., der unter mehreren Namen bekannt ist, war 2002 Poker-Europameister. Über sich selbst soll er gesagt haben, er sei der „erfolgreichste Jäger nach dem Geld naiver Spekulanten“. Der Prozess ist derzeit bis Januar 2017 terminiert. „Unter Umständen werden weitere Verhandlungstage notwendig“, sagt Landgerichtspressesprecherin Elena Gihr.