Das Landgericht Stuttgart verhandelt gegen einen 20-Jährigen, der ein elfjähriges Mädchen vergewaltigt haben soll.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Am 11. Juli durchbrach ein Albtraum die Grenze zu Christiane Hartmanns Realität. Am Nachmittag, um kurz nach fünf, fragte sie ihre Tochter Johanna, ob sie im Freibad Spaß gehabt habe. Das Kind, elf Jahre alt, begann zu schluchzen. Sie erzählte kaum mehr, als dass ein Mann sie im Auto mitgenommen habe. Hartmann wählte die 110. Um 21.19 Uhr stürmte das SEK ein Haus nahe Böblingen. Die Polizei verhaftete einen 20-Jährigen, der verdächtig ist, das Kind vergewaltigt zu haben. Nun verhandelt das Landgericht gegen ihn.

 

Die Namen der Opferfamilie und des Angeklagten sind erfunden. Der Tatort bleibt ungenannt, zum Schutz vor allem des Opfers. Zu viele in der Schönbuch-Gemeinde würden alle Beteiligten erkennen. Die Mütter des Angeklagten und des Opfers kannten sich von kirchlichen Treffen. Auch der Angeklagte gilt gleichsam als schutzwürdig. Womöglich wird er nach Jugendrecht verurteilt. Falls ja, könnte seine Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Aber „das ist nicht sehr wahrscheinlich“, sagt die Richterin Cornelie Eßlinger-Graf. Für Erwachsene sind fünf Jahre Haft die Mindeststrafe.

Beim Geständnis ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen

Der Angeklagte hat gestanden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Seine Erzählung deckt sich nahezu mit der des Opfers. Johanna fuhr mit dem Fahrrad ins Freibad, um eine Freundin zu treffen, als ein Mann in einem schwarzen Auto anhielt. Er fragte nach dem Weg zur Grundschule. Das Mädchen ließ sich überreden einzusteigen, um ihn zu lotsen. Sie fuhren zur Schule, dann in den Wald. Sie gingen spazieren, erst auf, dann abseits des Weges. In der Anklageschrift steht, dass der Mann eine Schreckschusspistole zog, bevor er dem Kind gebot, sich auszuziehen. Dieses Detail leugnet der 20-Jährige. Die Waffe habe in seiner Tasche gesteckt, nebst einem Messer, das sich mit einer Hand öffnen lässt. Bei der Polizei hatte der Mann ausgesagt, er habe den Akt abgebrochen, nachdem er das Mädchen nach seinem Alter gefragt hatte. Eine Polizistin, die Johanna befragte, erzählt, das Mädchen sei körperlich eher spät- als frühentwickelt. Ein Gynäkologe diagnostizierte später eine Verletzung im Genitalbereich.

Das Opfer war geistesgegenwärtig, der Täter gedankenlos

Die Elfjährige merkte sich die Autonummer. Sie führte die Polizei noch am Nachmittag zum Tatort. Bei der Beschreibung des Täters verschätzte sie sich lediglich im Alter. Der Mann müsse 40 bis 50 Jahre alt sein. Im Gegensatz dazu zeugt allein die Kleidung des Täters von bemerkenswerter Gedankenlosigkeit. Er trug ein T-Shirt mit dem Emblem des Schützenvereins, in dem er nahezu täglich trainiert. Darunter war Hendrick gedruckt, sein Vorname. Hendrick, das Idealbild der gutbürgerlichen Schwiegermutter. Der Junge trinkt nicht. Er liebt die Natur. Seine Urlaube verbringt er mit Ski- und Radfahren, gemeinsam mit der Familie. Er hat sich nie geprügelt. Jedem Streit geht er aus dem Weg. Statt in der Dorfkneipe sieht die Gemeinde ihn in der Kirche. „Er war immer vorsichtig, rücksichtsvoll, voll süß.“ So erzählt es Sandra Fischer, seine Freundin. Nie habe er sie zu mehr gedrängt als Zärtlichkeiten. Nie hatten sie Sex. Mit der 21-Jährigen wolle er ein glückliches Leben beginnen, erzählt der Angeklagte, und seine Lehre beenden, „wenn ich Bewährung bekomme“.

„Sie haben keine Vorstellung, was passiert ist“, sagt Cornelie Eßlinger-Graf, die Richterin. „Ich habe kein Wort des Bedauerns gehört, hier geht es nicht nur um Sie, sondern auch um ein kleines Mädle.“ Johanna habe sich kaum verändert, erzählt ihre Mutter. Über jenen Nachmittag schweigt die ganze Familie. Johanna spricht über ihn mit einer Psychiaterin. Mindestens 25 Sitzungen sind angesetzt.