Kaum einem Flüchtling gelingt der direkte Einstieg in den Arbeitsmarkt. Die Gründe sind vielfältig.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Böblingen - Mehr als 9100 Namen listet das Firmenverzeichnis für den Kreis Böblingen auf. 22 der Unternehmen haben sich um den Integrationspreis des Landkreises beworben. Umgerechnet entspricht das rund einem Viertelprozent. Dabei lockten neben dem Prestige Prämien, die zumindest für kleinere Firmen lukrativ sind. Der erste Platz ist mit einer Überweisung von 8000 Euro verbunden.

 

Das scheinbar geringe Interesse trügt, jedenfalls gemessen an den Worten von Kugenthini Annalingam. „Viele Firmen fragen gezielt nach, weil sie Flüchtlinge einstellen wollen“, sagt sie. Annalingam vermittelt in der Arbeitsagentur am Stuttgarter Nordbahnhof speziell Flüchtlinge. Damit ist sie auch für den Kreis Böblingen zuständig. Das Interesse der Firmen weicht allerdings zunehmend einer Ernüchterung, denn „an jeder Ecke stehen Stolpersteine“, klagt die Arbeitsvermittlerin.

Bei den Erfolgszahlen ist noch Luft nach oben

Dementsprechend sei bei den Erfolgszahlen „noch Luft nach oben“, sagt Doris Reif-Woelki, die Pressesprecherin der Agentur. 1707 Flüchtlinge waren Ende Oktober dort gemeldet, etwa drei Viertel von ihnen lassen sich zurzeit in Kursen auf eine Bewerbung vorbereiten. Ganze 23 der Zuwanderer haben seit dem Jahresbeginn einen Arbeitsvertrag unterschrieben. 19 begannen eine Lehre. Anfangs sei bei den Unternehmen eine gewisse Begeisterung für den Gedanken spürbar gewesen, ihren Fachkräftemangel aus der Schar der Neuankömmlinge zu beheben. Aber „diese erste Euphorie ist ein bisschen verpufft“, sagt Reif-Woelki. Die Unternehmen bieten Flüchtlingen inzwischen vorwiegend Praktika an. Denn gut ausgebildete Fachkräfte, die problemlos eingestellt werden könnten, sind unter ihnen die Ausnahme.

Nicht das einzige, aber das höchste Hindernis auf dem Weg zum Arbeitsmarkt ist die Sprache. „Ein Deutschkurs ist bei fast allen nötig“, sagt Annalingam. Mindestens drei Monate, teilweise länger als ein Jahr müssen die Flüchtlinge lernen. Bei manchem beginnt die Fortbildung an der Graswurzel. „Wir haben auch viele Analphabeten“, berichtet Annalingam.

Seit der Mitte des Jahres widmen sich die Agentur-Statistiker ernsthaft den bundesweiten Zahlen. „Die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt braucht Zeit.“ Dieser Satz steht gleichsam als Fazit in einer Dokumentation. 386 000 Zuwanderer aus den typischen Asylherkunftsländern sind amtlich ohne Arbeit. Die Zahl wird steigen, weil fast 580 000 Asylanträge noch unbearbeitet sind. Im Durchschnitt registrierte die Agentur für Arbeit in diesem Jahr monatlich ein Plus von 10 000. Aber grundsätzlich „sind Prognosen zu den Auswirkungen der Flüchtlingsmigration auf den Arbeitsmarkt sehr schwierig“, heißt es in dem aktuellen Positionspapier.

Drei Fünftel der Flüchtlinge ordnet die Agentur als Hilfskräfte ein

Für drei Fünftel der Zuwanderer kommt nach der Einschätzung der Agentur nur eine Hilfsarbeit infrage, allein schon, weil ihnen ihres Alters wegen die Qualifikation fehlt. Rund 60 Prozent der Flüchtlinge sind jünger als 25 Jahre. Eine Lehre haben nach dem Stand Ende September 3600 der Zuwanderer begonnen. Rund dreimal so viele hatten sich um eine Ausbildung beworben.

36 Prozent der Neuankömmlinge haben ein Gymnasium besucht oder sind sogar Akademiker. Allerdings garantiert auch eine höhere Bildung keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Die wenigsten fliehen mit ihren Zeugnissen im Gepäck und selbst wenn, müssen die Abschlüsse erst anerkannt werden. Die Zahl der qualifizierten Handwerker ist nach bundesrepublikanischer Lesart null. „Die duale Ausbildung gibt es in den Herkunftsländern eben nicht“, sagt Annalingam. Die Neigung, sie nachzuholen, sei gering. Die Mehrzahl der Zuwanderer zieht des Geldes wegen Hilfsarbeiten einer Lehre vor.

Um die Aufgabe bewältigen zu können, hat die Agentur neues Personal eingestellt. Darüber hinaus werden Flüchtlinge nicht anders behandelt als deutsche Arbeitslose. Was heißt: Unternehmen können Zuschüsse beantragen, wenn sie sogenannte Einstellungshemmnisse selbst beseitigen, statt dies der staatlichen Stelle zu überlassen. Sei es, dass sie ihren neuen Mitarbeitern CNC-Fräser- oder Sprachkurse bezahlen. Unabhängig davon, ob sich die Arbeitsagentur oder der Arbeitgeber um die Fortbildung bemüht: „Je mehr wir mit beruflicher Qualifikation nachlegen können“, meint Reif-Woelki, „desto schneller werden die Vermittlungszahlen steigen.“