Stuttgarter lieben die Grabkapelle Königin Katharinas auf dem Rotenberg, der offiziell wieder Württemberg heißt, als Wahrzeichen und Ausflugsziel. Jetzt könnten sich dort bald Windräder drehen.

Stuttgart - Die Grabkapelle auf dem Rotenberg – der heute wieder offiziell „Württemberg“ heißt – ist eines der wenigen historisch markanten und die Landschaft prägenden Bauwerke, über die Stuttgart verfügt. Sie entstand, von König Wilhelm I. 1824–26 für seine russische Gemahlin Katharina Pawlowna errichtet, am Ort der Stammburg der Wirtemberger und ist damit das optische Wahrzeichen des Landes, an dessen Herkunft und Namen es mit seiner würdigen Erscheinung erinnert.

 

Bisher hat die Stadtbevölkerung Berg und Grabmal als säkularen Wallfahrtsort anerkannt und die Anlage als Ausflugsziel geschätzt. Auf den Wanderwegen durch die Weinberge bleibt zwischen Fellbach und Obertürkheim, aber auch von den gegenüberliegenden Wangener Höhen aus gesehen die Grabkapelle immer im Blick. Das Ortsbild des Dorfes Rotenberg steht unter Denkmalschutz, der vorsieht, dass das Panorama aus Bauwerk, Weinbergen und Wäldern nicht beeinträchtigt werden darf. Schon öfter hat man aber feststellen müssen, dass der Denkmalschutz im Ernstfall wenig ausrichtet.

Die Diskussion ist noch im Gang

Nun sind auch dieser historische Ort und seine Umgebung durch den Fortschritt gefährdet. Die Sorge um die Umwelt liegt oft mit der Umwelt, wie sie bislang war, im Streit: Auch auf den nicht allzu windigen Höhen hinter dem Grabmal sollen nun Windräder stehen. Da die Diskussion über ihre Aufstellung noch im Gange ist, lohnt es sich, zumal im Falle dieses geschichtsträchtigen Ortes, über das Verhältnis von Fortschritt und Tradition, von Nutzen und Schönheit, von Natur und Technik nachzudenken. Auch die nun so schnell vorangetriebene Energiewende ist eine Form der Industrialisierung, die Landschaft verbraucht. Die Rettung der Umwelt geht mit ihrer Zerstörung einher – jegliches „grüne“ Denken steuert auf dieses Dilemma zu. Wer sich dessen nicht bewusst sein will, entscheidet sich von vornherein für Rettung durch Zerstörung.

In Frankreich wurde, als Mitte der 1970er Jahre in Deutschland das Nachdenken über die Zukunft des Planeten begann, dieses utopische Denken belächelt als typisch deutsche Romantik. Die Franzosen hatten so unrecht nicht, denn tatsächlich ist die politische Bewegung die Konsequenz einer kulturellen Entwicklung, die um 1800 einsetzte. Damals rückte – eine zweite kopernikanische Wende – der Mensch aus dem Zentrum des Weltbildes heraus, die Natur wurde entdeckt, von der er abhing.

Das ganze 19. Jahrhundert hindurch blieb, wo immer der Mensch sich selbst, seinem Geschäft, seiner Routine, entkommen wollte, die Natur sein Asyl. Wandern wurde zur Flucht aus der Moderne, die ästhetische Verehrung der Landschaft zum Kult, der die Folgen der Zivilisation vergessen machen sollte. Die Romantik aber hat gerade die Natur entdeckt, die heute mit so viel technischer Anstrengung gerettet werden soll. Dennoch werden die Qualitäten, die dem emotionalen Menschen nottun und die er in der Natur zu finden meinte, bei dieser Art von Rettung hintan gestellt. Heutzutage wird die Natur nicht mehr als Refugium, sondern nur noch als technisch nutzbare Voraussetzung für das physische Leben des Menschen angesehen.

Technische Überformung der Gegend

Im Falle der Grabkapelle spricht zudem der besondere Charakter der Stadtlandschaft Stuttgarts gegen eine technische Überformung der Gegend. Keine andere deutsche Stadt von dieser Größe zeichnet sich durch ein so schönes Landschaftsbild aus wie Stuttgart. Die Landschaft ist hier nicht nur Umgebung, sie ist Teil der Stadt.

Dies bemerkten auch der König und sein Baumeister Giovanni Salucci, als sie Schloss Rosenstein und die Kapelle gleichzeitig planten und so das Neckartal durch den Blick, der von einem zum andern Gebäude schweift, miteinander verbanden. Es sahen dies auch diejenigen, die sich in jüngerer Zeit gegen Hochhäuser in der Stadt, auch gegen einen Trump-Tower, aussprachen. Vor allem wussten es die, die einst für Stuttgart das Logo fanden: „Großstadt zwischen Wald und Reben“. Die allerdings, die nun vom „Partner der Welt“ oder vom „neuen Herzen Europas“ sprechen, scheinen nur noch die Pumpleistung dieses Organs im Sinn zu haben.

Das Neckartal als Denkmal

Das Neckartal selbst unterhalb des Grabmals muss als Denkmal verstanden werden, eines allerdings, das den Abschied von jeglicher romantischen Nachsicht der Natur gegenüber nur allzu deutlich dokumentiert. Vom Fluss bis zu den Höhen war diese Landschaft traditionell in vier Niveaus gegliedert: die Aue, die Dörfer mit ihren höher gelegenen Kirchen, die Weinberge und darüber der Wald. Die Industrialisierung hat die Landschaft, von unten nach oben Schritt für Schritt erobert. Fabrikanlagen und Kraftwerke halten nun die Talaue besetzt, die Dörfer sind zu Wohnsiedlungen am Rande der City geworden.

Den Bürgern, die aus der autogerechten Stadt zum Spaziergang hierher kommen, kann es nicht einfallen, hier zu verweilen. Sie ziehen weiter hinauf zu den Weinbergen, in denen die Verbindung von Natur und Kulturlandschaft noch zu erahnen ist, wenngleich auch sie zunehmend durch Asphaltierung und Metallstäbe für die Reben denaturiert werden. Vor der Zone der Grabkapelle auf dem Württemberg hat bisher die massive Technisierung Halt gemacht. Die Windräder, eine neue und notwendige Taktik zur Rettung der Natur, wären diesmal nur Teil des Feldzuges, den die Technik schon seit langem gegen diese Landschaft und das Stadtbild von Stuttgart unternimmt.