Bundestagspräsident Norbert Lammert ist bei der Einweihung des Bürger- und Medienzentrums in der ihm eigenen Art der Frage nachgegangen, wer eigentlich das Volk vertritt. Seine Schlüsse kamen bei den Politikern im Landtag gut an.

Stuttgart - „Wer vertritt das Volk?“ – Das Thema ist nicht eben leichte Kost für einen sommerlauen Freitagabend. Bundestagspräsident Norbert Lammert hielt die 300 Festgäste bei der Einweihung des Bürger- und Medienzentrums im Landtag dennoch bei Laune. Denn wie kein Zweiter vermag er demokratietheoretische Erkenntnisse mit spritzigen Apercus zu verbinden. Zunächst einmal räumte er mit einigen „Missverständnissen“ auf – landläufige Ansichten über Politik, die er für Legenden hält. Dass es so etwas wie einen Volkswillen gibt, zum Beispiel. Ob nun zu Flüchtlingen, Steuern oder den Euro: „Sie finden mühelos zu jedem Thema unterschiedliche Ansichten, aber keinen einheitlichen Volkswillen.“

 

Aber es gibt doch Mehrheiten!, wendet er spielerisch ein. Doch deren Entscheidungen müssten noch lange nicht richtig sein. Und dann folgt ein Satz mit langem Nachhall: „Eine Demokratie erkennt man nicht daran, dass Mehrheiten entscheiden, sondern daran, dass Minderheiten Rechte haben, die auch bei Mehrheiten nicht zur Disposition stehen.“ Das wiederum führte den Bundestagspräsidenten zur direkten Demokratie. Ja, die Bevölkerung habe die Erwartung, auch auf anderem Weg als über die Parlamente Einfluss auf Politik zu nehmen. Und das hält der CDU-Politiker auch für legitim und vernünftig. Allerdings nur, „solange man nicht auf den Einfall kommt, Plebiszite könnten repräsentative Entscheidungen ersetzen“.

Der Nachteil von Plebisziten

Das können sie Lammerts Ansicht nach nicht. Denn zum einen erlahme das Interesse der Bürger schnell, wenn sie nicht direkt von einem Thema betroffen sind. Außerdem zeige ein Parlament ein höheres Maß an Professionalität und Kompetenz, als sie eine virtuelle Volksgemeinschaft aufbringen könne. Das Risiko struktureller Fehlentscheidungen sei also „strukturell niedriger“ als bei Plebisziten, sagte Lammert. Nicht zuletzt hält er Fehler für schneller korrigierbar. Dass der Bundestagspräsident hier die Brücke zur Brexit-Entscheidung schlug, die exakt vor einem Jahr getroffen wurde, lag auf der Hand. Das britische Parlament sei zwar gegen den Austritt des Landes aus der EU, starre aber auf die Volksentscheidung wie das Kaninchen auf die Schlange. Das Auditorium im Stuttgarter Landtag – darunter auch viele ehemalige Abgeordnete – vernahm die Botschaft gern und applaudierte lange.

An diesem Samstag weiht der Landtag das neue Bürger- und Medienzentrum mit einem großen Bürgerfest ein. Landtagspräsidentin Muhterem Aras sagte, sie erwartet sich von den Räumlichkeiten noch intensivere Begegnungen zwischen der Politik und den Bürgern.