Die NSU-Morde werden jetzt auch im Südwesten parlamentarisch aufgearbeitet. Zu einem Untersuchungsausschuss konnte sich Grün-Rot nicht durchringen. Warum aber lehnt die CDU die Enquete-Kommission ab?

Stuttgart - Am Ende schimmerte dann doch wieder die alte ideologische Lagerbildung durch, als der Landtag am Mittwoch mit der grün-roten Mehrheit die Enquete-Kommission zum Rechtsterrorismus einsetzte. Das Gremium hat den Auftrag, „Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)“ zu ziehen, die „Entwicklung des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg“ nachzuzeichnen sowie „Handlungsempfehlungen für den Landtag und die Zivilgesellschaft“ zu erarbeiten.

 

Die CDU stimmte gegen das Vorhaben, die FDP enthielt sich – nicht weil man, so beteuerten Redner aus beiden Fraktionen, die NSU-Morde nicht ernst nehme, vielmehr gehe es darum, auch den Linksextremismus und die islamistischen Umtriebe ins Visier zu nehmen. „Wir wollen die gesamte Thematik erfassen“, sagte der CDU-Abgeordnete Volker Schebesta. Das erinnerte dann doch an das Links-Rechts-Schema verflossener Tage, als es bei solchen Debatten immer auch darum ging, die ideologischen Irrläufer der einen Richtung mit den Missetaten und Verbrechen der anderen Provenienz zu verrechnen.

Die Opfer wurden zu Tätern gemacht

Die zehn Morde des Zwickauer Terrortrios aber, so der SPD-Abgeordnete Nikolaos Sakellariou, seien so schrecklich, dass sie einer exklusiven Betrachtung bedürften: „Wir haben ein Problem, und das müssen wir lösen.“ Das Problem bestehe wesentlich darin, dass die Morde der Rechtsterroristen gar nicht als solche erkannt worden waren. Statt dessen „haben wir den Eindruck erweckt, als ob die Opfer die Täter wären“, also einer ethnisch definierten organisierten Kriminalität zuzuordnen seien. „Wir haben die Opfer kriminalisiert und ihnen schweren seelischen Schaden zugefügt.“ Der Grünen-Parlamentarier Daniel Lede Abal sagte, mit den Vorschlägen der Opposition würden „die Opfer der NSU-Mordserie in den Hintergrund gedrängt“, außerdem sprenge eine thematische Ausweitung den Rahmen der Kommission.

Dagegen argumentierte der frühere Justizminister Ulrich Goll (FDP), die eher theoretische, wissenschaftliche Ausrichtung einer Enquete-Kommission sei dazu angetan, „die Frage zu behandeln, wie wir uns gegen Extremismus in jeder Form schützen“. Einem Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden hätte seine Fraktion indes sofort zugestimmt. Damit spielte Goll den Ball zurück in die grün-roten Reihen. Denn die Enquete-Kommission ist eher eine Verlegenheitslösung.

Parteitage von SPD und Grünen hatten einen Untersuchungsausschuss gefordert, vor allem an der Basis der Grünen war der Druck erheblich. Anders als eine Enquete-Kommission kann ein Untersuchungsausschuss gewisse Zwangsmittel anwenden, also Zeugen herbeizitieren, Akten aus dem gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung anfordern und Beweise erheben.

Die Polizei untersuchte sich selbst

Ob das in der gegenwärtigen Situation weiterhelfen könnte, gilt allerdings als fraglich. Die Regierungskoalition verweist darauf, dass die Ermittlungen des Generalbundesanwalts noch andauern, weshalb auch ein Untersuchungsausschuss keineswegs an alle relevanten Unterlagen herankomme. Immer wieder sind Andeutungen zu vernehmen, dass es möglicherweise weitere Hinweise auf Kontakte des Terrortrios in den Südwesten gebe, diese aber wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens tabu seien. Zudem laufe in München noch der NSU-Prozess, der seinerseits neue Erkenntnisse erbringen könne und den ungeteilten Zugriff auf Akten verhindere.

Innenminister Reinhold Gall (SPD) macht geltend, dass die von ihm eingesetzte Ermittlungsgruppe „Umfeld“ bereits aufgeklärt habe, was aufzuklären sei. In dem Bericht, den Gall Mitte Februar vorgestellt hatte, ist von 52 Personen mit Bezug zu Baden-Württemberg die Rede, die nachweisbar entweder im direkten Kontakt zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe standen oder zumindest Kontaktleute des Trios kannten. Der Bericht erfuhr neben viel Lob auch Kritik, weil sich die Sicherheitsorgane letztlich selbst auf die Finger schauten – und die Polizei an der Arbeit der Polizei auch im Nachhinein nichts auszusetzen fand. Dabei wirft die zeitweilige Mitgliedschaft von baden-württembergischen Polizisten beim Ku-Klux-Klan drängende Fragen auf. Auch aus diesem Grund befand der Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand zur Forderung nach einem Untersuchungsausschuss: „Ein Blick von außen wäre hilfreich.“

Vieles spricht dafür, dass Innenminister Gall die Polizei nach der strapaziösen Polizeireform nicht auch noch mit einem Untersuchungsausschuss belasten wollte. Die Erwartungen, dass eine Enquete-Kommission über die Erkenntnisse der Verfassungsschutzberichte der vergangenen zwei Jahrzehnte sowie über allgemeine Handlungsempfehlungen wie etwa Stärkung der Prävention und mehr politische Bildung hinauskommt, sind gering. Immerhin: Das erleichtert positive Überraschungen.