Planlos und ratlos: Die Aufarbeitung der Umtriebe des NSU-Trios im Südwesten droht zu scheitern. Die Enquetekommission findet keinen Zugang zu dem Thema – sofern sie ihn überhaut sucht.

Stuttgart - Wenn TV-Journalisten nicht mehr weiter wissen, weil nichts passiert, aber Sendezeit zu befüllen ist, dann beginnen sie, sich gegenseitig zu interviewen. So hat es sich am am Montag auch im Landtag zugetragen. Nur dass an die Stelle der Journalisten die Abgeordneten traten.

 

Wieder einmal tagte die Enquetekommission zu den NSU-Morden im Besonderen und zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg im Allgemeinen. Noch immer fehlt den Parlamentariern eine zündende Idee und vor allem eine einende Idee, was sie denn mit sich und dem Gremium, das sie bilden, anfangen könnten. Und so saß der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete Hartfrid Wolff vor der Enquete und erzählte, was er in der vergangenen Legislatur im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags über die „Strukturen des Rechtsextremismus und die Vernetzung der rechtsextremen Szene“ in Erfahrung zu bringen vermocht hatte.

Zweifel an der Theorie von den Einzeltätern

Was Wolff berichtete, hätten die Abgeordneten im Wesentlichen auch im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses nachlesen können. Da und dort legte der Rechtsanwalt, der mitsamt seiner FDP vor einem Jahr aus dem Bundestag gekippt wurde, noch eine persönliche Wertung drauf. Das Gesamtbild aber ist bekannt: Es gibt eine, so Wolff, „weitreichende Vernetzung“ und „tiefe Verankerung“ des Rechtsextremismus. Der Kristallisationspunkt des Rechtsextremismus ist die Musikszene. Auf Konzerten trifft man sich, lernt sich kennen – und berauscht sich am Alkohol, an den metallenen Geräuschen elektrischer Gitarren, an den rassistischen, gewaltverherrlichenden Liedtexten.

Am Beispiel des im Jahr 2000 verbotenen neonazistischen Netzwerks Blood & Honour, zu dessen Umfeld auch die NSU-Täter gehörten, machte Wolff deutlich, dass er nicht an die Theorie der Bundesanwaltschaft glaubt, bei Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt sowie Beate Zschäpe habe es sich um eine kleine Gruppe von Einzeltätern gehandelt. Fazit: Ohne Unterstützer hätte sich das NSU-Trio nicht halten können. „Es sind einfach noch viel zu viele von denen, die wir als Netzwerk des NSU identifiziert haben, weder angeklagt noch beschuldigt“, sagte Wolff mit Blick auf die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft.

Auch Wolffs Kritik an der föderalen Sicherheitsarchitektur ist keinesfalls neu. Dass die Zusammenarbeit besser sein könnte: ein Gemeinplatz. Dass die Verfassungsschutzämter die Geheimhaltung ihrer jeweiligen V-Leute über alles stellen, selbst über die Auskunftsbegehren der Polizei: hat man auch schon gehört. Und dass die Geheimdienste besser kontrolliert werden müssen: sieht außerhalb der Geheimdienste niemand anders.

Jeder will was anderes

Nur zu der Frage, was das alles für Baden-Württemberg bedeute – und ob der Landtag nicht besser einen Untersuchungsausschuss mit besseren Durchgriffsrechten einsetzen sollte: da hielt sich Wolff bedeckt. Das müsse jedes Land für sich entscheiden, sagte er.

Die Abgeordneten der Enquetekommission nahmen Wolffs Vortrag dankbar auf. „Wir kommen langsam in Tritt“, sagte der SPD-Mann Nikolaos Sakellariou. Aber wo er hin will, das sagte er nicht. Einen U-Ausschuss hatte die SPD auf Geheiß von Innenminister Reinhold Gall, ebenfalls SPD, verhindert. Besser sei es, im Rahmen einer Enquete nach vorne zu schauen, um Handlungsempfehlungen für die Zukunft abzugeben. FDP und CDU wollen gleich noch das gesamte Spektrum des Extremismus in den Blick nehmen. Weshalb also nicht auch die Linken, fragt die CDU. Weshalb nicht die Salafisten? Das will die FDP wissen. Nur die Grünen reden noch immer von einem U-Ausschuss. Aber sie haben keinen Plan, was sie wissen wollten. Der erste Vorschlag des Kommissionsvorsitzenden Willi Halder von den Grünen hatte gelautet, die Heilbronner Theresienwiese zu besuchen. Dort war vor sieben Jahren die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet worden. Aber was hätten die Abgeordneten dort tun sollen? Dann wollten die Grünen die Buchautoren Stefan Aust und Dirk Laabs – die beiden haben sich in ihrem Buch „Heimatschutz“ akribisch mit der Geschichte des NSU beschäftigt – einladen. Zu einer Lesung?

Die Gegner eines U-Ausschusses sagen, so lange der Münchner NSU-Prozess andauere, sei ohnehin nicht viel zu holen. Immerhin aber hat der Generalbundesanwalt dem früheren NSU-Chefermittler, Bundesanwalt Rainer Griesbaum, eine Aussagegenehmigung für die Enquetekommission zum Tatkomplex Heilbronn erteilt. Angaben, die „konkrete Einzelheiten des Ermittlungs- und Strafverfahrens offenbaren würden“, darf Griesbaum nicht nennen, schon gar nicht die Namen von Zeugen.

Dass auch bei den baden-württembergischen Behörden einiges schief lief, steht außer Frage. Merkwürdig nur, dass die Abgeordneten so wenig Interesse an den Tag legen, die Landesbeamten einmal persönlich zu fragen, wie es dazu kommen konnte.