Landtagspräsidentin Muhterem Aras sieht Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland zwar kritisch, würde sie aber nicht verbieten, wie sie im Interview erzählt.

Stuttgart - Die türkische Community in Deutschland sollte sich eher um deutsche Angelegenheiten kümmern als um türkische, meint Landtagspräsidentin Aras.

 
Frau Präsidentin, viele Türken verstehen nicht, dass Deutschland einerseits mangelnde Meinungsfreiheit in der Türkei kritisiert, andererseits aber türkische Regierungsmitglieder hier nicht reden lässt. Wie kann man diesen Widerspruch auflösen?
Es geht nicht darum, dass türkische Minister in Deutschland nicht reden dürfen. Die Absage in Gaggenau hatte Sicherheitsgründe. Der Veranstalter hatte offenbar falsche Angaben gemacht, so dass die Stadt quasi in letzter Minute erfuhr, dass ein Minister kommt und Wahlkampf macht. Die Sicherheit konnte nach Auffassung der Stadt in so kurzer Zeit dann nicht gewährleistet werden. Ich würde mir wünschen, dass man in der türkischen Community die Umstände dieser Absage korrekt und differenziert betrachtet. Es geht nämlich nicht darum, dass man einem Minister einen Auftritt verboten hat. Wir sind zum Glück ein Rechtsstaat, in dem die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit garantiert wird.
Sie hätten also nichts dagegen, wenn türkische Regierungsmitglieder hier Wahlkampf machen – wenn sie dies ordnungsgemäß anmelden?
Ich persönlich finde, grundsätzlich sollte jeder ausländische Politiker den Wahlkampf auf sein eigenes Land beschränken. Aber wenn jemand meint, er müsse unbedingt Wahlkampf bei den im Ausland lebenden Wahlberechtigten machen, dann soll er das tun, auch wenn mir das nicht gefällt. Ich glaube, dass unsere Demokratie stark genug ist, das auszuhalten. Ich erwarte aber von verantwortlichen Politikern, dass sie nicht einen Spalt in die Gesellschaft treiben. Man kann kontrovers diskutieren, aber zivilisiert.
Ist es angesichts der großen türkischen Community in Deutschland nicht legitim, dass türkische Politiker hier um Wählerstimmen buhlen?
Ich sage klar: Mir persönlich gefällt das nicht. Andererseits ist Deutschland ein demokratischer Rechtsstaat, der Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantiert. Wer sich daran hält, der kann auch kommen. Wir wissen allerdings, dass solche Veranstaltungen heikel sind. Wenn die Sicherheitslage kritisch eingeschätzt wird wie in Gaggenau, dann entspricht es auch den Regeln unseres Rechtsstaats, dass man zum Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die eine oder andere Veranstaltung nicht genehmigt.
Muss der Gesetzgeber grundsätzlich reagieren?
Ich wüsste nicht, wie das gehen sollte. Viel wichtiger ist, dass die Bundesregierung der Türkei klar zu machen versucht, dass jeder nur in seinem Land Wahlkampf machen sollte – bei aller Toleranz. Das Problem ist doch, dass die Gesellschaft in der Türkei über die Präsidialverfassung extrem gespalten ist. Dieser Streit wird nun nach Deutschland getragen. Daran können wir kein Interesse haben. Ich würde mir wünschen, dass die türkische Community, auch die Mitglieder ohne deutschen Pass, sich eher um die deutschen Angelegenheiten kümmert. Es gibt dafür vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten.
Warum schwärmen so viele türkischstämmige Bürger für Präsident Erdogan, obwohl sie ihren Lebensmittelpunkt doch in Deutschland haben?
Das würde ich auch gerne verstehen. Die türkischen Zuwanderer profitieren doch extrem von Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie von unserer freiheitlichen, offenen und liberalen Lebensweise. Dann aber laufen viele einem Politiker hinterher, der genau diese Grundrechte mit Füßen tritt. Dafür habe ich kein Verständnis. Andererseits müssen wir uns als deutsche Politiker fragen, was da schief gelaufen ist. Ich habe darauf noch keine Antwort. Möglicherweise fehlt es den Menschen an Wertschätzung und Anerkennung.