Wer unter Vollbetreuung steht, ist vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das betrifft zum Teil auch leicht geistig Behinderte wie Elke D. Der Behindertenbeauftragte im Land, Gerd Weimer, fordert das Wahlrecht für alle Menschen mit Behinderung.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Elke D. weiß genau, bei welcher Partei sie am 13. März ein Kreuzchen machen würde. Sie schaut jeden Abend im Fernsehen Nachrichten, „das gehört für mich zum Tag“, sagt die 74-Jährige. Das Wahlbüro liegt nur wenige Schritte von dem Wohnheim für behinderte Menschen der Caritas entfernt, in dem sie nun seit 17 Jahren lebt. Am Wahlsonntag hinzugehen lohnt sich für Elke D. aber nicht. Sie würde nämlich keinen Stimmzettel bekommen.

 

Elke D. darf nicht wählen. Der Grund: die leicht geistig behinderte Frau hat einen gesetzlichen Betreuer für alle Angelegenheiten. Dieser Personenkreis wird aus dem Wahlregister gestrichen und bekommt deshalb auch keine Wahlbenachrichtigung zugeschickt. Elke D. ärgert das – und verstehen tut sie es auch nicht. „Der Robert geht wählen, ich möchte das auch“, sagt sie. Die meisten Bewohner des Hauses St. Elisabeth in Zuffenhausen haben bereits Post mit Wahlunterlagen von der Stadt bekommen. Darunter sind auch Personen, die viel stärker behindert sind als Elke D. – etwa schwerst mehrfach behinderte Menschen, die von ihrem Wahlrecht gar nicht Gebrauch machen können. Da schwerst mehrfach behinderte Menschen nichts anstellen könnten, stünden diese in der Regel auch nicht unter Vollbetreuung, erklärt Jürgen Rost, der Einrichtungsleiter. Bei anderen übernehme ein gesetzlicher Betreuer zum Beispiel nur die Finanzen, diese Personen dürfen ebenfalls wählen. Dass jemandem wie Elke D., die nur leicht geistig behindert und politisch interessiert sei, dieses Bürgerrecht abgesprochen wird, findet Jürgen Rost falsch: „Das müsste geändert werden.“ Auch beim Durchschnittsbürger könne man nicht davon ausgehen, dass er die Parteiprogramme gelesen habe.

Nur 0,06 Prozent sind davon betroffen

Betroffen vom Wahlausschluss sind in Stuttgart nur sehr wenige: Laut Thomas Schwarz, dem Leiter des Statistischen Amts, sind wegen der Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten in Stuttgart 241 Personen vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen – das seien 0,06 Prozent der Stuttgarter, so Schwarz. 374 000 Einwohner sind in diesem Jahr wahlberechtigt. Angesichts der geringen Zahl also kein Thema, bei dem Handlungsbedarf besteht?

Der Landesbehindertenbeauftragte Gerd Weimer sieht das anders. Er will der neuen Landesregierung beziehungsweise dem neu gewählten Parlament den Auftrag mitgeben, „endlich alle Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt an Landtags- und Kommunalwahlen teilnehmen zu lassen“. Mehr als sechs Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention sei es an der Zeit, „den diskriminierenden generellen Ausschluss von Menschen mit einer angeordneten Betreuung in allen Angelegenheiten vom Wahlrecht zu beseitigen“, findet Weimer. Dies sei auch bereits vom UN-Menschenrechtsausschuss anlässlich der Prüfung des deutschen Staatenberichts über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gefordert worden, betont er.

„Neben der Beseitigung des Wahlrechtsausschlusses muss es aber auch darum gehen, Barrieren abzubauen und angemessene Unterstützung beziehungsweise Assistenz bereitzustellen“, fordert der Landesbehindertenbeauftragte, der gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Lebenshilfe Baden-Württemberg die Informationsbroschüre „Einfach wählen gehen!“ herausgegeben hat. Darin wird in leichter Sprache alles zur Landtagswahl erklärt.

Behinderte Menschen benötigen oft Assistenz bei der Wahl

Das Thema Assistenz ist für Menschen mit Behinderung tatsächlich wichtig, das ist auch bei einem Aufklärungsseminar der Caritas für behinderte Menschen zur Landtagswahl am Samstag deutlich geworden. „Ich kann gar nicht lesen, was mache ich“, hat eine der Teilnehmerinnen gesagt, sie würde sich Bilder auf dem Stimmzettel wünschen. Ohne einen Assistenten könnte sie ihr Wahlrecht nicht ausüben. „Behinderte sind Bürger, die Rechte und Pflichten haben wie jeder“, sagt die Sozialpädagogin Birgit Körner, die das Seminar geleitet hat.

Die Teilnehmer haben dabei ihre Fragen und ihre Wünsche an Politiker formuliert, die sie am Dienstag Kandidaten von CDU, Grünen, SPD und FDP vorbringen wollen. Einer Frau ist zum Beispiel vor allem wichtig, „dass sie uns zuhören und mit uns reden“. Einen weiteren Teilnehmer ärgert, dass er nicht in den Urlaub fahren kann. Er schufte in der Werkstatt, doch sein Lohn reiche nicht aus. Das Thema Reisen und Geld für Freizeitgestaltung wird am Dienstag sicherlich eine Rolle spielen, aber auch das Thema Arbeit: Warum gibt es nicht mehr Stellen für (geistig) behinderte Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt? Wie sollen Wohnheime in Zukunft gestaltet sein? Und warum werden Therapietiere nicht voll finanziert? Welche Antworten die Politiker haben, erfahren die Menschen mit Behinderung am Dienstag im Bezirksrathaus Bad Cannstatt von 15.30 Uhr an.