Sie sind jung und wach und in großer Sorge. Elf Schüler des Fellbacher Friedrich-Schiller-Gymnasiums sprechen kurz vor der Landtagswahl über die AfD, Bildung, Eltern, Stuttgart 21 und ihre Angst um die demokratische Kultur im Land.

Fellbach - Sie sind jung und in großer Sorge. Elf Schüler des Fellbacher Friedrich-Schiller-Gymnasiums sprechen über Bildung, Eltern, Stuttgart 21 und ihre Angst um die demokratische Kultur im Land. Nur drei von ihnen dürfen am 13. März wählen gehen – und werden das auch tun. Die anderen würden gerne ihr Kreuz machen, sind aber noch zu jung. Die Idee vom Wählen als Bürgerpflicht hat anscheinend noch nicht ganz ausgedient.

 
Hallo zusammen. Warum geht ihr wählen oder würdet wählen gehen, wenn ihr dürftet?
Max Seiter (16) Ich finde es wichtig, dass man seine Meinung kundtut. In der Vergangenheit sind Menschen gestorben für das Recht, frei zu wählen – in der DDR etwa oder während des Dritten Reiches. Ich finde es wichtig, dieses Recht heute wahrzunehmen. Die Demokratie lebt davon. Wir sollten Demokratie nicht als etwas betrachten, was einfach da ist. Wir müssen Demokratie auch unterstützen, indem wir wählen gehen.
Macht ihr euch Sorgen um die Demokratie?
Daniel Wilkinson (16) Ja. Wenn ich mir überlege, dass die AfD in Baden-Württemberg auf elf Prozent zusteuert, mache ich mir schon Sorgen.
Danial Bamdadi (18) Ich mache mir keine großen Sorgen um die kapitalistischen Demokratien. Aber ich bin schon dafür, dass man wählen geht, weil populistische Parteien auftreten. Sie machen sich die Flüchtlingskrise zunutze und schüren Ängste unter Menschen, die wenig haben. Aber auch die etablierten Parteien versuchen, aus der Flüchtlingskrise Profit zu schlagen.
Die Wahlprognosen sagen etwas anderes. Die CDU und die SPD stehen nicht gerade auf der Siegerseite.
Danial Bamdadi (18) Aber die CDU wird weiter mehr Wähler haben als die AfD. Es erhöht ihre Chance, an die Macht im Land zu kommen.
Bianca Leckler (18) Jeder sollte wählen gehen, auch wenn er nicht so politisch interessiert ist. Wer nicht wählt, verliert das Recht, sich über irgendwas aufzuregen. Zurzeit wird alles zugespitzt, es gibt nur noch links- oder rechtsextrem. Wer Flüchtlingen helfen will, gilt als links. Wer sagt, mir ist das zu viel des Guten, steht sofort in der rechten Ecke. Ich finde, wir sollten die Debatte über die Flüchtlingskrise wieder anheben auf ein Niveau, auf dem man gewaltfrei diskutieren kann.
Die Diskussion läuft aus dem Ruder?
Danial Bamdadi (18) Natürlich. Es brennen Flüchtlingsheime! Die rechtspopulistischen Parteien erzeugen eine Atmosphäre der Intoleranz. Die Geflüchteten und die Andersdenkenden fürchten sich vor Gewalt. Auch mir macht das Angst, weil ich anders denke.
Navid Azad (16) Ich finde besonders erschreckend, wie schnell sich die AfD entwickelt hat. Wenn man das auf die Zukunft projiziert, habe ich schon Angst, dass es so schnell weiter geht.
Jakob Henke (16) Man muss sich nur angucken, was die AfD in ihre Wahlprogramme schreibt. In Sachsen-Anhalt ist die Rede davon, die Nationalkultur zu stärken. Das ist so eindeutig rechts, das ist schon beängstigend.
Liegt es wirklich nur an dieser einen, relativ neuen Partei, dass sich die Stimmung so zuspitzt?
Bianca Leckler (18) Nein. Alle Themen werden im Moment doch nur benutzt, um den Kampf links gegen rechts auszutragen. Das sieht man auch bei den so genannten Demos für alle, die die Gegner des neuen Bildungsplans organisiert haben. Da geht es auch nicht mehr um die Inhalte. Da schimpfen die einen auf die Linken, und die anderen schreien gegen die Rechten. Ich habe Angst, dass Politik nicht mehr im Parlament stattfindet, sondern nur noch auf der Straße.
Daniel Wilkinson (18) Im Moment geht ein riesiger Spalt durch die Gesellschaft. Beim Flüchtlingsthema gibt es nur noch dafür oder dagegen. Keiner hört mehr richtig zu und lässt die Auffassungen des anderen gelten. Das führt am Ende dazu, dass Brandbomben auf Asylbewerberheime fliegen. Dabei geht es Deutschland jetzt wirtschaftlich gut. Ich frage mich da schon: Was passiert, wenn wir in drei, vier Jahren eine Wirtschaftskrise haben?
Was kann man tun?
Daniel Wilkinson (18) Die eigene Meinung offensiv vertreten. Einfach zeigen, dass es auch andere Auffassungen gibt: Hey, ich bin nicht einer dieser besorgten Bürger, die auf Facebook gegen das geplante Flüchtlingsheim nebenan mobil machen. Aber wir müssen die Leute schon auch ernst nehmen und konstruktiv mit ihnen reden. Warum haben die so viel Angst? Wir können nicht alle AfD-Wähler oder Pegida-Demonstranten zu Idioten stempeln. Sonst haben wir zu viele Idioten.
Alexander Pachl (17) Die Gesellschaft wird gespalten. Es gibt viele, die Angst haben und nicht wissen, was auf sie zukommt mit dem Flüchtlingsproblem. Man muss den Leuten die Angst nehmen. Sonst sind wir als Land irgendwann nicht mehr entscheidungsfähig, weil der Riss durch die Gesellschaft sich auch in einer Spaltung des Parlaments widerspiegelt.
Navid Azad (16) Die Radikalisierung ist doch aber auch das Ergebnis einer gescheiterten Sozial- und Bildungspolitik. Viele der Pegida-Demonstranten oder der AfD-Anhänger gehören zur unteren Einkommensschicht. Das ist die Basis für Unzufriedenheit. Dieser Frust richtet sich dann gegen Flüchtlinge: Denen wird geholfen, uns nicht.
Die AfD-Spitze besteht aus hochgebildeten Leuten.
Navid Azad (16) Das stimmt. Ich weiß auch nicht, was bei denen los ist. Ob das Machtgelüste sind?
Jakob Henke (16) Auch gebildete Menschen können eine solche Weltsicht haben. Es geht darum: Wen will die Partei ansprechen? Und sie richtet sich eindeutig an die von unserem System Enttäuschten.
Franz Kästner (18) Die AfD ist aus Krisen entstanden. Erst als Anti-Euro-Partei, jetzt hetzt sie gegen Flüchtlinge.
Haltet ihr die AfD für eine vorübergehende Erscheinung?
Franz Kästner (18) Nein. Die AfD wird sich die nächste Krise suchen, um möglichst viele in der Bevölkerung anzusprechen.
Jakob Henke (16) Viele Parteien haben sich aus Krisen gegründet. Die SPD entstand aus der Arbeitnehmerbewegung heraus. Der Kampf ist schon lange vorbei, und die SPD existiert trotzdem noch.
Naja, gerade noch so.
Jakob Henke (16) Ja, stimmt. So langsam kriegt die SPD kriegt wirklich die Krise.
Danial Bamdadi (18) Ich würde mich aber auch nicht auf die etablierten Parteien verlassen. Wir hatten Grün-Rot im Land, und es hat sich ja trotzdem alles verschlechtert. Wir kriegen die Feinstaub-Probleme nicht in Griff, Stuttgart 21 wird gebaut, obwohl es ein total unsinniges Projekt ist, das immer teurer wird, und dann hat Kretschmann im Bundesrat auch noch dem Abbau der Rechte von Schutzsuchenden zugestimmt . . .
. . . indem er jetzt die Ausweitung der so genannten sicheren Herkunftsländer auf die Balkanländer mit beschlossen hat.
Danial Bamdadi (18) Genau. Dass die AfD so stark zu werden droht, zeigt eine gewisse Unzufriedenheit.
Daniel Wilkinson (18) Da hast du Recht. Mit dem ganzen Gerede von Flüchtlingskontingenten versuchen die etablierten Parteien doch nur, die Rechten zu sich zu ziehen. Man bewahrt keine Haltung mehr.
Wen soll man dann wählen?
Danial Bamdadi (18) Ich wähle die Linken.
Daniel Wilkinson (18) Man muss die etablierten Parteien wählen. Das muss jeder für sich entscheiden, welche davon die beste Antwort gibt gegen den Rechtsruck und auf die Probleme im Land.
Wofür ist die Landesregierung zuständig?
Navid Azad (16) Bildung.
Interessiert euch das als Wahlkampfthema?
Daniel Wilkinson (18) Ja, das interessiert mich schon. Die Grünen haben da ja ziemlich schlechte Arbeit geleistet. Kretschmann war selber Lehrer und hat dann trotzdem Hunderte Lehrerstellen gekürzt.
Max Seiter (16) Ich finde die Abschaffung der Grundschulempfehlung nicht gut. Viele Eltern sagen jetzt: „Mein Kind muss unbedingt aufs Gymnasium.“ Da hängen sie dann immer hinten dran, davon profitiert keiner.
Navid Azad (16) In einer Zeit, in der die Bildungschancen des Kindes immer noch extrem abhängig sind von dem Bildungsabschluss der Eltern, ist die Abschaffung der Grundschulempfehlung richtig gewesen. Ich denke, es gibt viele Kinder, die in der Grundschulzeit nie richtig gefördert wurden und dann ihr ganzes Leben lang in der Haupt- oder Realschulecke hängen bleiben, obwohl sie viel mehr Potenzial haben. Und das nur wegen der Empfehlung eines Lehrers.
Daniel Wilkinson (18) Wenn die ganzen Fünft- und Sechstklässler hinterher hängen, weil alle Eltern ihre Kinder auf dem Gymnasium anmelden, ist auch niemandem geholfen.
Ihr traut den Eltern nicht viel zu, oder?
Daniel Wilkonson (18) Nein.
Wollt ihr eine Prognose für den 13. März wagen?
Max Seiter (16) Die CDU und die Grünen kriegen beide 30 oder 31 Prozent, die SPD 15 oder 16 Prozent, die FDP sieben, acht Prozent und die AfD elf oder zwölf Prozent. Die Linke schafft es nicht in den Stuttgarter Landtag.