Freudentänze bei den Grünen, Enttäuschung bei der SPD, fassungslose Minen bei der CDU – die Grünen holen alle vier Direktmandate in Stuttgart. Umweltminister Franz Untersteller hat im Stuttgarter Norden die letzte CDU-Bastion geschliffen.

Stuttgart - Und wieder das gleiche Bild wie 2011 vor der Großbildleinwand im Großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses: Freudentänze bei den Grünen, Enttäuschung bei der SPD – und einmal mehr fassungslose Mienen und Resignation bei der CDU nach der Prognose für das landesweite Ergebnis. Nicht einmal eine Stunde später zeichnete sich ab, dass die Union – nach dem Debakel von vor fünf Jahren im Zuge der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem Streit um Stuttgart 21 - nun auch noch das vierte Direktmandat an die Grünen verlieren würde und sich der im Wahlkreis Stuttgart III dem grünen Umweltminister Franz Untersteller unterlegene Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler künftig auf seine anwaltliche Tätigkeit wird konzentrieren können.

 

Bekanntlich kann die CDU wegen der vielen im ländlichen Raum erworbenen Direktmandate nicht auf Zweitmandate zurückgreifen. 2011 lag der Jurist Löffler noch 6,2 Prozentpunkte vor Umweltminister Franz Untersteller. Nach der Auszählung von 101 von 110 Wahlkreisen um 19.10 Uhr lag der Grüne aber um 7,5 Prozentpunkte in Front.

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Löffler weiß, wem er das zu verdanken hat: der Flüchtlingspolitik und dem AfD-Widersacher Bernd Klingler. Im Gemeinderat hat er an derselben Stelle seit Monaten nichts zu lachen, zu früher Stunde jubiliert er mit einigen Parteifreunden im hintersten Eck des Saales als Kandidat der Rechtspopulisten mit einem Ergebnis von 15,5 Prozent und – da er über dem Landesdurchschnitt ist, – mit der Aussicht auf ein hoch dotiertes Mandat im Landtag und auf fünf Jahre als Berufspolitiker. Die SPD-Bewerberin Marion von Wartenberg landete hinter der AfD (13,4 Prozent).

Muhterem Aras liegt wieder weit vorne

Im Wahlkreis I gelang es der grünen Landtagsabgeordneten und wirtschaftspolitischen Sprecherin, Muhterem Aras, ihr Ergebnis von 2011 (damals 42,5 Prozent) leicht zu toppen. Nach Auszählung von 79 von 106 Wahlbezirken (Stand 19 Uhr) kommt sie diesmal auf 42,6 Prozent. Und das trotz Hannes Rockenbauch, dem bekanntesten Stuttgart-21-Gegner, der für die Linken in den Wahlkampf gezogen war. Ihm wie auch den anderen Kandidaten der Linkspartei dürfte die Warnung von SPD-Chef Nils Schmid in den Ohren weiterklingen: „Eine Stimme für die Linken ist eine gegen die grün-rote Landesregierung.“ Rockenbauch holte allerdings mit 7,4 Prozent das beste Ergebnis für die Linke in Stuttgart und liegt weit über dem Gesamtresultat von 5,4 Prozent nach der Auszählung von gut drei Vierteln der Bezirke. Die FDP kann in allen vier Wahlkreisen hinzugewinnen, in ihrer einstigen Hochburg auf den Fildern reicht es immerhin wieder zu einem knapp zweistelligen Ergebnis (10,2 Prozent) durch die Unternehmerin Gabriele Reich-Gutjahr und womöglich nach zehn Jahren wieder für ein Zweitmandat.

Die CDU-Bewerberin stürzt ab

Die CDU-Bewerberin im Wahlkreis I, Donate Kluxen-Pyta, erreichte lediglich 18,4 Prozent. Das ist ein weiterer Erdrutsch, nachdem ihre Vorgängerin Andrea Krueger bereits auf 26,9 Prozent abgestürzt war. Auch die in erster Linie für die Kreativ- und Kulturszene interessante Stefanie Brum (SPD) fiel mit nur elf Prozent der Stimmen noch einmal tiefer als der Kreisvorsitzende Dejan Perc vor fünf Jahren (17,5). Alle Ziele seien erreicht, freute sich der Grünen-Kreisvorsitzende Mark Breitenbücher. Ein Wermutstropfen sei das gute Ergebnis der AfD. OB Fritz Kuhn (Grüne) sagte, das Ergebnis für seine Partei sei sensationell, der Auftrag zur Bildung einer Regierung liege bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Die AfD fährt im Innenstadtwahlkreis ihr schlechtestes Ergebnis (7,1 Prozent) ein.

Die Kopf-an-Kopf-Rennen in den Wahlkreisen II und IV fielen dieses Mal aus: Auf den Fildern verteidigte Verkehrsminister Winfried Hermann das Direktmandat, das Werner Wölfle, damals Ratsfraktionsvorsitzender, erstmals für die Grünen geholt hatte. Nach der Auszählung von 81 von 108 Wahlbezirken kommt Hermann auf 37,2 Prozent. Seine Widersacherin, die im Wahlkreis fest verwurzelte Stefanie Schorn, kam zu diesem Zeitpunkt nur auf 23,6 Prozent, das beste Unionsresultat in allen vier Wahlkreisen. Der Sozialdemokrat Ergun Can kam nur auf 11,3 Prozent.

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Roland Schmid muss sein Comeback verschieben

Jahrzehntelang heiß umkämpft war der Neckarwahlkreis (Wahlkreis IV). Die Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch verteidigt nach 101 von 114 ausgezählten Bezirken ihr Direktmandat souverän. Sie kommt auf 34,2 Prozent. Der Regionalrat und Cannstatter CDU-Chef Roland Schmid, der sich parteiintern gegen den Ratsfraktionschef Alexander Kotz durchgesetzt hatte, schaffte kein Comeback in den Landtag, dem er von 1996 bis 2001 angehört hatte. Auf ihn entfielen enttäuschende 21,9 Prozent.

Der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann (SPD) war der erfolgreichste Genosse – aber auch er kam nur auf 14 Prozent, deutlich weniger als die 22,4 Porzent von Martin Körner 2011 und Lichtjahre entfernt von seinem Ergebnis im Mitte-Wahlkreis aus dem Jahr 2001, als er mit 35,1 Prozent das Direktmandat geholt hatte. Auf bundesweites Interesse dürfte das Ergebnis für den Linke-Kandidaten stoßen. Der Parteichef Bernd Riexinger erwies sich nicht als Zugpferd, er kam auf 5,9 Prozent.

Nach den Niederlagen bei der Bundestagswahl 2013 (die CDU holte beide Direktmandate) und bei der Gemeinderatswahl (die CDU ist mit 17 von 60 Sitzen wieder stärkste Fraktion) haben sich die Grünen gut erholt gezeigt. Die Landeshauptstadt ist grün, und die Union muss weiter an ihrem Image als Großstadtpartei feilen. Nachdem 356 von 438 Wahlbezirken ausgezählt waren, standen die Grünen bei 36,1 Prozent und damit 1,6 Prozentpunkte besser als 2011. Die CDU rutscht auf 21,8 Prozent ab, die SPD hat bei 12,4 Prozent einen Zwischenstopp eingelegt. Die FDP zeigt sich in ihrer Hochburg mit 9,0 Prozent gut erholt, die Linken hätten mit 5,4 Prozent den Einzug in den Landtag geschafft, wenn das Stuttgart-Resultat maßgeblich wäre. Die Wahlbeteiligung lag bei 69,8 Prozent und damit niedriger als 2011, als 73,1 Prozent ihre Stimme abgegeben hatten.

Während vor fünf Jahren schon am Nachmittag Tausende Stuttgart-21-Gegner auf dem Schlossplatz versammelt waren, um das erwartete Ende der 58 Jahre währenden Regierung durch die CDU zu feiern, fand sich die Polizei dieses Mal vor dem Hotel Maritim in der Seidenstraße ein, um die landesweite Wahlparty der AfD vor etwa 50 Gegendemonstranten zu schützen, die aus dem Stand in Stuttgart auf 11,5 Prozent kommt und damit auf Rang vier landet.

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